Gelsenkirchen-Beckhausen. Warum Anwohner gegen ein Neubauprojekt in Gelsenkirchen-Schaffrath Front machen. Und welche Rolle die katholische Kita Heilig Geist dabei spielt.
Es klingt ganz unspektakulär, was die Initiatoren da fordern: „Mehr im Schaffrath“ lautet das Motto einer Unterschriftensammlung, die seit rund zehn Tagen die Runde macht und schon 691 Unterstützer gefunden hat. Die Einzelpunkte aber, die haben es in sich: Auf eines der größten Neubauprojekte der letzten Jahre zielt die Aktion – buchstäblich. Denn Ziel maßgeblich von Eltern der Kita Heilig Geist ist es, das Vorhaben zu Fall zu bringen.
Nachdem eine Ratsmehrheit Anfang Oktober das Bebauungsplanverfahren für das ursprünglich kirchliche Heilig-Geist-Grundstück an der Giebelstraße angeschoben hat, machen nun besonders Eltern der katholischen Kita auf dem Gelände Front: Sie wehren sich gegen den Bau von 24 Eigenheimen durch die Deutsche Reihenhaus AG, die die 5900 Quadratmeter große Fläche von der Pfarrei St. Urbanus gekauft hat, und wollen verhindern, dass dafür ihr Kindergarten „geopfert“ wird.
Gelsenkirchener wehren sich gegen Verlagerung der Schaffrather Kita nach Beckhausen
Wie berichtet, soll die zweigruppige Einrichtung mit 45 Plätzen abgerissen und mit der Liebfrauen-Kita an der Rosenstraße an die Braukämperstraße verlagert werden. Dort will ein Investor einen Neubau mit 100 Kita-Plätzen errichten.
„Wir brauchen keine Reihenhäuser, wir Schaffrather benötigen weiterhin unsere Kita hier vor Ort“, macht Andrea Hegemann, eine der Initiatoren der Unterschriften-Aktion, deutlich, und Olivia Richter vom Elternrat der Kita ergänzt: „Der Weg zum neuen Standort Braukämperstraße ist fußläufig zu weit, wenn man kein Auto hat. Erwachsene laufen rund 40 Minuten dorthin, mit einem kleinen Kind an der Hand dauert es noch viel länger.“
Gelsenkirchener SPD: „Sozial Schwache bleiben bei Kita-Verlagerung auf der Strecke“
„Sozial Schwache bleiben da womöglich auf der Strecke“, kritisiert auch Ingrid Husmann, SPD-Verordnete in der Bezirksvertretung West und engagiert im Quartierstreffpunkt „Schaffrather Mitte“, der die Unterschriftensammlung unterstützt. Bedürftigen würden zwar die Kita-Beiträge erlassen, eine Fahrkarte zur Braukämperstraße müssten sie jedoch selbst finanzieren. „Da wird sich manche Familie überlegen, ob das Kind wirklich in die Kita muss“, sieht sie in solchen Fällen die Bildungsgerechtigkeit durch mangelnde Förderung in Gefahr.
Durch die Bebauung mit Reihenhäusern drohe überdies eine Rodung alter Bäume und die Versiegelung von Rasenflächen. Das widerspreche dem Ziel des Klimaschutzes, dem sich die Stadt eigentlich verschrieben habe, so Husmann weiter.
Gelsenkirchener fürchten Verschärfung der Parkplatz-Situation durch Eigenheime
„Durch die Bebauung wird sich auch die Parkplatz-Situation im Schaffrath weiter verschärfen“, so die Sorge von Andrea Hegemann. Dass der Investor 27 Stellplätze und fünf Garagen vorsieht, werde nicht ausreichen, da die neuen Eigenheim-Besitzer zur Finanzierung ihrer Immobilien häufig doppelt verdienen müssten und dann auch zwei Autos benötigten.
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Was die Initiative stattdessen für das Gelände vorschlägt, das die Pfarrei St. Urbanus aus finanziellen Gründen verkauft hat? „Uns fehlt im Schaffrath ein Platz zur Begegnung. Der könnte doch auf dem Kirchengelände entstehen, inklusive einer neuen Kita, wenn die alte so marode ist“, so Andrea Hegemann. Finanzieren könne das die Pfarrei St. Urbanus durch den Verkauf von Immobilien. „Für den Übergang während der Bauzeit könnten die Kinder in Containern untergebracht werden“, schlägt Olivia Richter vor, deren zweijähriger Sohn in der Einrichtung betreut wird.
Gelsenkirchener SPD: „Pfarrei St. Urbanus kommt sozialer Verantwortung nicht nach“
Worum sich die Initiatoren besonders sorgen, ist der Zusammenhalt im Schaffrath. „Wenn die Kita verlagert werden sollte, fallen viele gemeinschaftsstiftende Aktionen weg, weil der Weg einfach zu lang ist“, so das Elternrats-Mitglied. Die Besuche in der benachbarten Kleingartenanlage Glückauf etwa, wo die Mädchen und Jungen selbst Gemüse anpflanzen, ernten und später in der Kita essen, oder bei den Seniorinnen und Senioren der APD-Demenz-WG, die seien dann nicht mehr möglich.
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„Es heißt doch immer: Kurze Beine, kurze Wege“, hält auch SPD-Stadtverordneter Manfred Rose das aktuelle Vorhaben für „nicht akzeptabel“. „Die Pfarrei kommt hier ihrer sozialen Verantwortung nicht nach“, fügt seine Parteikollegin Husmann hinzu und bemängelt, erst aus der Zeitung von der Veräußerung der Fläche an die Deutsche Reihenhaus erfahren zu haben, obwohl Propst Markus Pottbäcker auf einer Quartierskonferenz Transparenz zugesichert habe.
Gelsenkirchener Propst: Finanzsituation der Pfarrei nötigte zum schnellen Verkauf
Dieser freilich weist den Vorwurf, unsozial gehandelt zu haben, zurück. „Wir haben mit der Deutschen Reihenhaus einen Investor gefunden, der jungen Familien bezahlbaren Wohnraum anbietet“, erklärt er auf Nachfrage der Redaktion und betont: „Die finanzielle Situation der Pfarrei ist so desaströs, dass wir handeln mussten. Eine noch längere Suche nach einem Investor hätten wir uns nicht leisten können.“ Daher sei es auch für St. Urbanus völlig ausgeschlossen, eine Kita in Eigenregie neu zu errichten, wie von den Eltern angeregt.
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Dass die Kita abgerissen wird, bedauere er ebenso wie den weiteren Weg zur Braukämperstraße. „Aber ein Teilabriss der Gebäude unter Aussparung der Kita hätte sich für die Reihenhaus AG nicht gerechnet; und im Schaffrath haben wir leider keinen Alternativ-Standort für einen Neubau gefunden.“
Einrichtungs-Träger: Sind nicht einzige Kita im Schaffrath
Der Kita-Zweckverband als Träger der katholischen Kindertageseinrichtungen im Bistum Essen verweist auf Nachfrage darauf, in den vergangenen zwei Jahren alle Eltern bei der Anmeldung ihrer Kinder darüber informiert zu haben, dass das Kirchen-Grundstück Heilig Geist veräußert werden soll und dass dann Veränderungen anstehen.
Für Eltern, die tatsächlich nicht mobil seien und sich ein ÖPNV-Monatsticket nicht leisten könnten, wäre womöglich ein Einrichtungswechsel zur städtischen Kita Nottkampstraße im Schaffrath (55 Plätze) eine Alternative, wenn auch mit einer zweijährigen Vorlaufzeit, so Gebietsleiterin Katharina Feldmann.