Gelsenkirchen/Westerholt. Trockenstress und Parasiten – dem Wald in Gelsenkirchen und Umgebung wird viel abverlangt. Das teilt er Besuchern mit. In seiner eigenen Sprache.
Es regnet wieder. Nach einer gefühlt ewigen Dürre im Sommer ist es in diesen Tagen wieder ordentlich nass. Problem gelöst, so könnte man meinen. Falsch. In den Tiefen sind die Böden im Stadtgebiet noch immer deutlich zu trocken. Mit Konsequenzen für die Natur. Grund genug zu schauen: Wie geht es dem Wald aktuell? Da fragt man ihn am besten einfach mal selbst.
Bäume teilen sich ihrer Umwelt mit. Nur versteht nicht jeder ihre Sprache. Conrad Speth von Schülzburg kann dabei helfen. Der Förster der Ruhestätte Natur im Westerholter Wald beobachtet seine Schützlinge seit Monaten sehr intensiv dabei, wie sie mit den klimatischen Bedingungen dieses Jahres umgehen. Er versteht ihre Botschaften. Prinzipiell jedoch könne das jeder.
Bei einigen Bäumen spürt man: Der hat doch was
„Ich bin zwar Experte, aber es ist vielmehr Erfahrung. Wer durch den Wald geht und dabei achtsam ist, immer wieder die Natur beobachtet, kann die Probleme der Bäume auch erkennen. Man spürt bei einigen Bäumen: Der hat doch was. Das ist wie bei uns Menschen. Da sieht man ja auch, wenn es jemandem nicht gut geht. Auch wenn man die Ursache nicht kennt.“ Dafür brauche es dann Experten.
Ein Beispiel: Am Waldesrand steht eine „kleine“ Eiche. Die ist zwar recht groß, verglichen jedoch mit ihren majestätischen Nachbarn drängt sich dem Betrachter sogleich dieses beschriebene Gefühl auf – der hat doch was. Die ganze Krone ist schütter, etliche trockene Äste ragen aus der Krone heraus, die einzelnen Blätter sind deutlich kleiner als die der Nachbarn. „Dieser Baum hat Trockenstress.“ Der Sommer hat dem Baum viel Kraft abverlangt. Ob zu viel, das werden die nächsten Monate zeigen.
Die Bäume in Gelsenkirchen werden kleiner werden
Das sei vielerorts zu beobachten, erklärt der Förster. Eicheln seien zum Teil schon vor Wochen noch grün und hohl vom Baum gefallen. „Damit sagt der Baum: Ich schaffe es nicht mehr, meine Früchte auszutragen. Um mein Leben zu sichern, muss ich mich von ihnen trennen. Einige Bäume werfen dann sogar frische Äste ab.“
Das Prinzip: Sich klein machen. Das kann einen Baum, binnen mehrerer Jahre, verändern. Das zeigt eine andere Eiche ein paar Meter weiter. „Sie hat viele kleine Äste am Stamm ausgebildet.“ Die eigentliche Krone wird in ihrer Größe deutlich reduziert. „Der Baum verkleinert seine organische Kronenmasse.“ So müsse er weniger Teile versorgen. „Er spürt, es scheint zwar oft die Sonne, was für die Photosynthese gut ist. Aber es kommt kein Wasser von unten, was er veratmen kann.“ Dann könne der Wasserstrang in den Zellstrukturen abreißen. Die fatale Folge: eine Embolie.
Bäume scheinen Entscheidungen zu treffen, wie sie mit Krisen umgehen
Und jetzt wird es richtig interessant: „Der Baum muss also abwägen, ob er sich reduziert oder ob er durchhält und als größeres Gewächs mehr Nährstoffe verwerten und natürlich einlagern kann.“ Eine „Entscheidung“, die ein Baum individuell zu treffen scheint. „Manchmal sieht man zwei Exemplare derselben Baumart nebeneinanderstehen, die sich deutlich von einander unterscheiden.“ Sie haben irgendwann unterschiedliche Strategien für sich „als richtig erachtet“.
Wer von beiden richtig liegt, das zeigen die nächsten Jahre. Ob es nun regnet oder nicht, Wissenschaftler verzeichnen seit 2018 in Deutschland eine Dürre. Es regnet nicht ausreichend. Es regnet nicht gleichmäßig. Das lebenswichtige Nass erreicht die tiefen Bodenschichten nicht. Die hiesigen Wälder und auch die einzelnen Bäume werde das verändern. Gleichsam findet der Förster im Wald auch Hoffnungsspender.
Wieder ist es eine Eiche: Deren unterer Stamm liegt an einer Seite frei von Rinde. Beim Herantreten sieht man: Wo das Holz frei liegt, hat der Baum eine ordentliche Verletzung. „Da war wohl mal eine kleine Verletzung. Dann ist da der Hallimasch-Pilz eingedrungen – und hat sich ausgebreitet.“ Sehen kann man davon nicht viel, weil er gerade keine Fruchtkörper ausgebildet hat. Fühlen kann man den Befall umso besser: Conrad Speth von Schülzburg greift in die Wunde und kann das weiche Holz mit den Fingern zerbröseln.
Der Stamm ist löchrig wie ein Schweizer Käse
Das ist auch anderen aufgefallen. Dieser Teil des Stammes sieht aus wie ein Schweizer Käse. „Hier ziehen Insekten ein, weil das Holz so schön weich ist.“ Schon stimmt man als Laie innerlich einen wehmütigen Abgesang auf die stattliche Eiche an. Jedoch: „Die Eiche ist sehr resilient. Die kann gut viel abhaben.“ Das zeigt auch die grüne, dichte Krone. „Nur wenn es weiterhin so trocken ist, wird ihr der Pilz früher oder später den Garaus machen.“
Generell gilt: Die Bäume können mit Widrigkeiten umgehen, solange sie insgesamt gesund sind. Hier trotzt eine Buche (noch) erfolgreich der Buchenwollschildlaus, dort lebt eine andere mit einem Krebsgeschwür. Das alles aber bedeutet zusätzlichen Stress. Der strenge an, weiß der Förster wie wohl jeder aus eigener Erfahrung. „Burnoutgefährdet sind alle Bäume hier.“ Phasen der Entspannung, in denen alles gut ist, würden immer kürzer – oder fallen ganz aus.
Die Bäume hier im Wald haben eine ganz wichtige Stütze in diesen herausfordernden Zeiten: ihre Gemeinschaft. „Das ist schon wie eine große Familie, die hier vereint steht.“ Obwohl sie nicht einer Art angehören? Da lacht Conrad Speth von Schülzburg. „Das ist wie bei uns Menschen. Die einen kommen gut miteinander aus, sind freundlich gegenüber anderen Arten, andere wiederum dulden keinen Fremden neben sich. Generell aber kann man sagen, dass die Bäume wissen, die Art des Nachbarn spielt nicht unbedingt eine große Rolle. Sie schützen und stützen sich gegenseitig und brauchen diese Gemeinschaft auch zum Überleben.“
Wie also geht es nun diesem Wald? „Er zeigt an vielen Stellen deutliche Spuren der Trockenheit. Insgesamt aber geht es ihm relativ gut. Auch weil er ein gut durchmischter Laubwald ist.“
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