Gelsenkirchen. Jobcenter-Mitarbeiter spricht davon, dass Steuerzahler „verhöhnt“ werden. Gelsenkirchens DGB-Chef hält dagegen und verteidigt das Bürgergeld.
Ein in Gelsenkirchen lebender Mitarbeiter eines Jobcenters im Ruhrgebiet hat vor einigen Tagen im WAZ-Gespräch seinen Unmut über das geplante Bürgergeld kundgetan, welches das bisherige Hartz-IV-System ersetzen soll. Der Mann, der im Berufsalltag für die Bewilligung von Sozialhilfeanträgen zuständig ist, sprach angesichts mangelnder Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Langzeitarbeitslosen vom „Hohn am Steuerzahler“ – eine Perspektive, die Mark Rosendahl, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), nicht so stehenlassen möchte.
Gelsenkirchener DGB-Chef Rosendahl bewertet Bürgergeld „grundsätzlich positiv“
„Dass das zweite Sozialgesetzbuch auch das Prinzip des ,Forderns’ beinhaltet und der Leistungsempfänger alle Anstrengungen zu unternehmen hat, um seine Hilfebedürftigkeit zu beseitigen, ist in der Praxis und vor allem in der Politik aber nicht mehr zu sehen“, kritisiert der Jobcenter-Mitarbeiter. Tatsächlich, so behauptet es der Gelsenkirchener, kämen die Prüfer aufgrund der Masse an Anträgen auch gar nicht mehr ihrer Verpflichtung nach, zu prüfen, ob die Ausgaben gerechtfertigt und notwendig seien. Das Geld werde vielmehr „mit der Gießkanne ausgezahlt“.
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Eine ganz andere Sicht auf das Bürgergeld hat Mark Rosendahl. Der Gewerkschafter hat früher selbst zehn Jahre lang bei einer Firma am Niederrhein Langzeitarbeitslose beraten und qualifiziert. Außerdem ist Rosendahl ehrenamtlicher Vorsitzender des Jobcenter-Beirates. Aus der Erfahrung dieser beiden Tätigkeiten heraus bewertet Rosendahl das geplante Bürgergeld als „grundsätzlich positiv, weil unter anderem die Höhe der Leistungen angepasst wird“. Ob die noch vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs und dem deutlichen Anstieg der Inflation angekündigten 50 Euro zusätzlich im Monat ausreichen, müsse indes beobachtet werden. Weitere Erhöhungen für Rentner und Sozialleistungsbezieher seien möglicherweise notwendig, so Rosendahl.
Rosendahl: „Sanktionsquote in Gelsenkirchen liegt ohnehin nur bei 1,6 Prozent“
Der DGB-Chef begrüßt außerdem, dass für Härtefälle zwar weiterhin Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen sind, das Bürgergeld aber dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 Rechnung trage. Die Richter hatten Korrekturen angemahnt, etwa bei der bisherigen Sanktionspraxis, Jugendliche im Vergleich zu höheren Altersgruppen härter zu behandeln. Und: Es dürfe zwar Sanktionen geben, aber in Maßen. Weil es um das vom Grundgesetz geschützte Existenzminimum gehe, also eine Frage der Menschenwürde, dürften die Sanktionen nicht zu weit gehen.
Rosendahl berichtet, dass die Sanktionsquote in Gelsenkirchen etwa ohnehin nur bei 1,6 Prozent liege und ein großer Teil der 33.789 erwerbsfähigen SGB-II-Bezieher in der Stadt krank sei oder zu wenig Selbstvertrauen habe und Hilfe brauche, um sich wieder in die Arbeitswelt zu trauen. „Der soziale Arbeitsmarkt ist daher ein unheimlich wichtiges Instrument“, plädiert der Gewerkschafter für den Ausbau des Systems, in dem der Staat Jobs, die mangels Wertschöpfung von der Privatwirtschaft nicht besser bezahlt werden können, dauerhaft subventioniert.
Dass zusätzlich zum Bürgergeld auch der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben wird, werde außerdem dazu beitragen, dass sich auch gering bezahlte Arbeit rechnet, entgegnet Rosendahl überdies der Aussage des Jobcenter-Mitarbeiters, dass Menschen „aus Gründen der Bequemlichkeit oder aufgrund des kaum noch erkennbaren Unterschieds zwischen Arbeitslohn und Transferleistungen, lieber Transferleistungen erhalten“.