Gelsenkirchen-Erle. Im Gelsenkirchener Sozialwerk St. Georg arbeiten auch schwerstbehinderte Menschen. Ihre Aufgaben richten sich nach ihren Fähigkeiten.

Marcel Jähner schaut konzentriert auf das Brett, das vor ihm liegt. Er hat ein dünnes Metallstäbchen in die Hand, das er suchend kreisen lässt, nach einigen Sekunden legt er es in die entsprechende längliche Aussparung, die in das Brett gefräst wurde. Passt. „Gut gemacht“, lobt Jan-Oliver Kolpatzik.

Marcel Jähner ist schwerst mehrfachbehindert – „ein Mensch mit hohem Assistenzbedarf“, verbessert Stefanie Langer vom Sozialwerk St. Georg, die den Ausdruck „mehrfachbehindert“ nicht gern mag. Jähner ist einer von rund 600 Menschen mit Assistenzbedarf, die hier arbeiten, Kolpatzik ist Heil- und Erziehungspfleger, er kümmert sich um Marcel Jähner und dessen Kolleginnen und Kollegen. Deren Aufgaben sind vielfältig.

Gelsenkirchener nehmen am Arbeitsleben teil

Mit Hilfe dieses Brettes sortiert Marcel Jähner die Metallteile.
Mit Hilfe dieses Brettes sortiert Marcel Jähner die Metallteile. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Das Metallstäbchen, das Jähner sortiert, gehört zu einem Set von Metallteilen, die zusammen einen Befestigungssatz für eine Sanitärfirma ergeben. Sind alle Teile beisammen, kommen sie in ein kleines Plastiktütchen, das dann zugeschweißt wird. Die Firma hat das Sozialwerk mit der Produktion dieser Sätze beauftragt – es ist ein typischer Arbeitsauftrag, wie er beim Unternehmen regelmäßig eingeht. Für alle Beteiligten ein Gewinn: Die Firma bekommt ihren Auftrag erledigt, die Menschen, die die Tütchen sortieren und packen, nehmen so am Arbeitsleben teil und werden natürlich für ihre Arbeit entlohnt.

Marcel Jähner sitzt in einem hellen, freundlichen Raum, Kolpatzik kümmert sich liebevoll um ihn und seine Kollegen – die Atmosphäre hat so gar nichts mit der Vorstellung von Menschen mit Behinderung zu tun, die man für stumpfe Arbeit wegsperrt und die als Klischee noch immer durch einige Köpfe geistert. „Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt“, sagen Stefanie Lange und St. Georg-Geschäftsführer Adrian van Eyk unisono.

Diese Menschen arbeiten in den Werkstätten

Heil- und Erziehungspfleger Jan-Oliver Kolpatzik hilft Frano Telenta-Dapic bei der Arbeit.
Heil- und Erziehungspfleger Jan-Oliver Kolpatzik hilft Frano Telenta-Dapic bei der Arbeit. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

In einer Werkstatt für Menschen mit Handicap arbeiten Frauen und Männer, die wegen ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden können. Diese Definition ist weit gefasst – umso wichtiger ist es den Verantwortlichen beim Sozialwerk, dass jeder Mensch nach seiner Fähigkeit und auch nach seinen Wünschen eingesetzt werden kann.

„Wenn jemand zu uns kommt beziehungsweise zu uns vermittelt wird, dann schauen wir uns den Menschen sehr genau an, versuchen herauszufinden, wo seine Interessen liegen, probieren mehrere Betätigungsfelder aus“, erklärt Adrian van Eyk. Und Betätigungsfelder gibt es viele auf dem Gelände an der Emscherstraße.

Pfähle für den Zoo, Särge fürs Krematorium

So beispielsweise in der großen Schreinerei. Gerade ist hier eine Ladung Holzpfähle angekommen: Im Auftrag der Zoom Erlebniswelt sollen die Pfähle angespitzt werden, um später zu einem Zaun zu werden. Zwei Mitarbeiter (ohne Handicap) tüfteln aus, welche Arbeitsschritte notwendig sind, um den Auftrag umzusetzen. In der gleichen Halle entstehen zeitgleich einfache Holzsärge, wie sie bei Einäscherungen im Krematorium gebraucht werden. Auf dem Hof schieben Mitarbeiter Rollcontainer vor sich her, in denen Berge von Akten liegen, die hier vernichtet werden. Außerdem werden Autos gewaschen, Gärten gepflegt oder Grußkarten hergestellt: Die Bandbreite ist groß.

Wichtig ist Adrian van Eyk, einen fließenden Übergang von der Arbeit in den Werkstätten zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen. „Niemand soll hier arbeiten, der nicht eine Chance in der normalen Arbeitswelt hätte“, betont er. Daher würden auch zahlreiche Menschen nicht in den Werkstätten, sondern extern eingesetzt, bei Firmen und Behörden wie etwa der Stadt Gelsenkirchen.

Arbeit im Altstadtcafé und im Bistro „AufSchalke“

Beispielhaft dafür ist die „INTZeit-Arbeit“, ein Inklusionsunternehmen unter dem Dach von St. Georg. Hier ist es konkretes Ziel, für Menschen mit und ohne Behinderungen Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Das gelingt beispielsweise in Gastronomiebetrieben wie dem Altstadtcafé oder dem Bistro „AufSchalke“.

Marcel Jähner hätte auf dem ersten Arbeitsmarkt wohl keine Chance, dafür ist er zu schwer behindert. Aber als er seinen Plastikbeutel fertig gepackt hat, lächelt er zufrieden. Und beginnt eifrig mit der Arbeit am nächsten.