Gelsenkirchen. In Hassel erschallt der Muezzin-Ruf während des Fastenmonats täglich, aber auch sonst braucht die Moschee keine Genehmigung. Das ist der Grund.

Wo immer in Deutschland die Debatte geführt wird, ob eine Moschee über Lautsprecheranlagen den Muezzin-Ruf in die Nachbarschaft ertönen lassen darf, ist ein kontroverser Diskurs gewiss. So war es zu Beginn des vergangenen Jahres auch in Gelsenkirchen, als im Integrationsrat mitunter hitzig, laut und emotional über den Antrag der Grünen gestritten wurde, den islamischen Gebetsruf einmal am Tag an zwei Standorten im Süden und Norden der Stadt möglich zu machen.

Die Ditib-Moschee in Gelsenkirchen-Hassel.
Die Ditib-Moschee in Gelsenkirchen-Hassel. © Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Se | Oliver Mengedoht

Letztlich war dies rechtlich und politisch nicht umzusetzen. Dennoch ließ die Ditib-Moschee in Gelsenkirchen-Hassel an der Straße Am Freistuhl 14-16 während des Fastenmonats Ramadan täglich den Muezzin-Ruf erklingen. Da damals pandemiebedingt ein gemeinsames Gebet in der Moschee zum gemeinsamen Fastenbrechen bei Sonnenuntergang nicht möglich war, entschied sich der Moscheeverein dafür. „Wir wollen den muslimischen Gemeindemitgliedern beistehen und eine Freude machen“, zitierte der WDR damals Cesur Özkaya, den Vorsitzenden der türkisch-islamischen Ditib-Gemeinde in Hassel. In einem Brief an die Nachbarn warb er um Verständnis für „das Zeichen der Solidarität“.

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Beschwerden aus der Nachbarschaft der Moschee sind der Redaktion im vergangenen Jahr nicht bekannt geworden. Etwas anders verhält es sich in diesem Jahr. Mindestens mal „ungeschickt“ sei es gewesen, dass selbst am Karfreitag der Muezzin-Ruf im Stadtteil ertönte, obgleich in Gedenken an die Kreuzigung Jesus Christus an diesem Tag nicht einmal Kirchenglocken läuteten, berichten Anwohner der WAZ.

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„Mit Verwunderung habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Hasseler Ditib-Verein den Muezzin ausgerechnet am Karfreitag zum Gebet rufen ließ“, sagt auch FDP-Ratsherr Christoph Klug, der am Wochenende von einigen Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürgern darauf angesprochen worden sei. „Ich halte dieses Vorgehen für unsensibel, auch wenn gerade Ramadan ist“, so Klug. „Ich hätte mir hier mehr Rücksichtnahme und Verständnis für die christliche Gemeinschaft gewünscht, für die das Osterfest und im Speziellen der Karfreitag die höchsten Feiertage neben den Weihnachtstagen sind.“

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Cesur Özkaya bedauerte, dass die Gemeinde in diesem Jahr keine Flyer verteilt und die Nachbarschaft nicht informiert habe. „Das hätten wir besser tun sollen“, sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion. Ansonsten wies er darauf hin, dass die Gemeinde schon seit 22 Jahren eine Genehmigung für den wöchentlichen Muezzinruf zum Freitagsgebet hätte. „Das haben wir in den vergangenen Jahren immer auch am Karfreitag gemacht, und es hat nie Beschwerden gegeben“, sagt Özkaya.

Wie im vergangenen Jahr, wollte er auch in diesem Jahr den Muezzin täglich zum Fastenbrechen rufen lassen: „Die Pandemie ist ja noch nicht vorbei“, sagt er. Allerdings wolle er nun mit Rücksicht auf die Nachbarn für die restlichen Tage des Ramadan davon absehen. „Uns ist sehr an einer guten Nachbarschaft gelegen“, sagt er. Bei Diskussionen in der Vergangenheit habe die Gemeinde auch immer Zuspruch von nicht-muslimischen Hasselern erhalten.

Moscheegemeinde braucht keine Genehmigung für täglichen Muezzin-Ruf

Eine Extra-Genehmigung für den täglichen Muezzin-Ruf brauche die Gemeinde ohnehin nicht, erklärt ein Sprecher der Stadt Gelsenkirchen auf Nachfrage. So lange der Gebetsruf nicht die in der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vorgesehene Maximallautstärke von 55 Dezibel überschreitet, kann die Moschee außerhalb der Nachtruhe über ihre Lautsprecher erklingen lassen, was immer sie will und so oft sie will. Einer gesonderten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bei Einhaltung der anzuwendenden Immissionsschutzwerte nach der TA Lärm bedarf es nicht.

Dass die Maximallautstärke nicht überschritten werde, sei nach Aussage des Stadtsprechers dadurch gewährleistet, dass in den Lautsprechern am Minarett ein verplombter Limiter eingebaut seien. Dieser verhinderte, dass der Muezzin-Ruf lauter als die vorgeschriebenen 55 Dezibel in der Umgebung zu hören seien.

„Mehr Streit als Integration“ Wüst kritisiert Muezzinruf-Projekt in Köln

Auch andernorts sorgt das Thema Muezzin-Ruf für kontroverse Debatten. So kritisierte etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gerade erst das Muezzinruf-Projekt der Stadt Köln. „Ich habe die Sorge, dass damit möglicherweise mehr Streit in die Gesellschaft getragen als der Integration gedient wird“, sagte der Politiker am Dienstag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Düsseldorf. Seit dem Herbst können muslimische Gemeinden in Köln im Rahmen eines zweijährigen Modellprojekts den öffentlichen Ruf zum Freitagsgebet bei der Stadt beantragen.

Zweifelsohne falle der Muezzinruf unter die Religionsfreiheit, führte Wüst aus. Als Ergebnis einer Abwägung mit anderen Grundrechten werde aktuell jedoch nur sehr reduziert an einzelnen Orten von Moscheen zum Gebet gerufen. „Das hat in den vergangenen Jahren zu einer hohen gesellschaftlichen Befriedung dieses Themas geführt“, betonte der Regierungschef. „Ohne Not und Anlass, wie mir scheint, wird nun in Köln in diesen Frieden eingegriffen.“ Denn die Ankündigung der Stadt komme ja quasi einem Aufruf an alle Moscheegemeinden gleich, Anträge auf Einführung des Muezzinrufs zu stellen.

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Die Vorgaben der Stadt Köln sehen vor, dass der Muezzinruf nur an Freitagen für maximal fünf Minuten erklingen darf. Die Lautstärke ist zu regulieren und die Nachbarschaft vorab zu informieren. Für Fragen und Beschwerden muss es in den Gemeinden eine Ansprechperson geben. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) sprach von einem Zeichen gegenseitiger Akzeptanz: „Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird.“

Nach den Worten von Wüst sind die Muslime „ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft“. Gerade in NRW lebten viele von ihnen seit mehreren Generationen. „Diese Realität gilt es anzuerkennen.“ Der von Ex-Bundespräsident Christian Wulff zitierte Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ habe schon 2010 eine Selbstverständlichkeit ausgedrückt, die bis dahin selten ausgesprochen worden sei. (mit kna)