Gelsenkirchen. Mit „Carmen“ steht ab Sonntag eine der beliebtesten Opern überhaupt auf dem Spielplan des Gelsenkirchener Musiktheaters. Ein Probenbesuch.

Da mag ihr Flamencorock noch so blutrot und ihr Tod noch so herzzerreißend sein: Der Blick der Probenbesucher bei der Schlussszene von „Carmen“ verharrt trotzdem auf jenem imposanten Stier, der da kopfüber von der Bühnendecke herabhängt. Nahezu realistisch und lebensecht wirkt dieser bullige Körper. Regisseurin Rahel Thiel weiß in ihrer Inszenierung der Oper von Georges Bizet, die an diesem Sonntag um 16 Uhr im Musiktheater im Revier Premiere feiert, aber auch noch mit weiteren Schauwerten aufzutrumpfen.

Ein Stier namens Ferdinand als absoluter Hingucker

Da haben die Mitarbeiter der Werkstätten des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier ganze Arbeit geleistet: Der getötete Stier, der in der Schlussszene zum Einsatz kommt, sieht täuschend echt aus.
Da haben die Mitarbeiter der Werkstätten des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier ganze Arbeit geleistet: Der getötete Stier, der in der Schlussszene zum Einsatz kommt, sieht täuschend echt aus. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Den Stier haben wir gleich bei unserer ersten Probe getauft. Er heißt nun Ferdinand“, verrät Regisseurin Thiel, als sie sich am Ende der Probe Zeit für ein Gespräch im Theatercafé nimmt. Diesen Namen hat sie selbst ausgesucht. Denn „Ferdinand, der Stier“, das sei in jungen Jahren ihr absolutes Lieblings-Kinderbuch gewesen, erzählt eine sichtlich entspannte und gelöst wirkende Thiel. Der Probenstress, er scheint an ihr trotz der nahenden Premiere emotional abzuprallen.

Ihre Gelassenheit ist vielleicht auch damit zu erklären, dass Thiel in Gelsenkirchen quasi ein „Heimspiel“ hat. Zwar lebt die freischaffende Regisseurin inzwischen in Leipzig, doch zwischen 2015 und 2019 arbeitete sie über vier Spielzeiten als Regieassistentin am hiesigen Musiktheater. „In jeder dieser Spielzeiten durfte ich eine eigene Produktion inszenieren, was wahrlich nicht selbstverständlich ist“, bedankt sie sich im Nachhinein für das große Vertrauen, das ihr entgegengebracht wurde. Durch diese Vorgeschichte habe sich ihre jetzige Rückkehr zum MiR „wirklich wie ein Nach-Hause-Kommen angefühlt“, betont Thiel.

Bühnenbild von Dieter Richter sorgt für eine dichte Atmosphäre

Mit Bizets „Carmen“ habe sie sich bereits früher beschäftigt. „Und zwar bei der Aufnahmeprüfung für mein Regiestudium in Hamburg“, sagt Thiel. Ihre Ideen von damals seien mit denen für die heutige Inszenierung aber nicht vergleichbar. So spielt ihr großes Finale, in dem Don José seine große Liebe Carmen ersticht, im Inneren der Stierkampfarena – und nicht, wie sonst üblich, davor. Dieter Richter hat ein Bühnenbild dazu geschaffen, das dem Chor und Solisten genügend Platz auf den im Halbkreis geformten, arenaartig anmutenden Stehtribünen lässt. Die Atmosphäre, sie wirkt dadurch bei der Probe schon sehr, sehr dicht.

„Ich weiß gar nicht, wie oft ich diese Oper schon dirigiert habe, aber ich liebe Carmen nach wie vor heiß und innig“, öffnet auch Rasmus Baumann sein Herz. Der Generalmusikdirektor der Neuen Philharmonie Westfalen übernimmt die musikalische Leitung. Man könne sich Bizets Musik im Alltag überhaupt nicht entziehen. „Auch wer Carmen bisher noch nie erlebt hat, wird mindestens die Hälfte aller Stücke sofort wiedererkennen“, sagt Baumann.

Komponist Georges Bizet war zu Lebzeiten nie in Spanien

Das sei umso erstaunlicher, wenn man bedenke, dass der französische Komponist (1838-1875) nicht einen einzigen Tag selbst in Spanien verbracht habe, hebt Baumann hervor. In eben jenem Land ist die Handlung von Carmen angesiedelt. „Und dennoch trifft er durchweg mit jedem Ton das spanische Kolorit“, so der GMD.

Auch für die beiden Protagonisten wird diese Produktion eine Besondere: Denn Mezzosopranistin Lina Hoffmann als Carmen und der aus Südafrika stammende Tenor Khanyiso Gwenxane geben jeweils ihr Rollendebüt. Und Regisseurin Thiel bevorzugt eine kooperierende Arbeitsweise, sodass „die Sichtweisen der beiden auf jeden Fall mit in ihre jeweilige Figur einfließen“.

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GMD Baumann atmet auch deshalb erleichtert auf, weil dies gefühlt „der erste echte große Opernabend“ seit zwei Jahren sei. In den Hochzeiten der Pandemie hätten Zwangspausen den Bühnenbetrieb lahmgelegt. Später spielte die NPW aus Abstandsgründen oft nur in verkleinerter Besetzung. „Und jetzt“, verspricht Baumann, „werden wir mit der vollen Kapelle ein spanisches Feuerwerk entfachen.“

Es sind noch Restkarten für die „Carmen“-Premiere erhältlich

Für die Premiere von „Carmen“ an diesem Sonntag gibt es noch Restkarten. 750 der rund 1000 Plätze im Großen Haus dürfen besetzt werden. Karten: 0209 40 97 200.

Lina Hoffmann singt die Titelpartie. Die Mezzosopranistin kam als Mitglied des Jungen Ensembles ans Musiktheater im Revier und gehört seit der Spielzeit 2019/20 fest zum Opernensemble.