Gelsenkirchen. Von Friedensappellen bis zu einer Peitsche als Gastgeschenk. Zu Schachty in Russland unterhält Gelsenkirchen eine schwierige Städtepartnerschaft.
Schachty, russisch auch Shakhty, ist seit 1989 die russische Partnerstadt Gelsenkirchens. Etwa 3000 Kilometer Luftlinie trennen Gelsenkirchen von der 240.000-Einwohner-Stadt im Donezbecken – und derzeit wohl Welten. Doch weitgehende Funkstille zwischen Russland und Deutschland herrscht hier schon länger – nicht erst seit Kriegsbeginn in der Ukraine.
Den letzten offiziellen Besuch einer Delegation hat es wohl 2010 gegeben. „Damals war eine Schülergruppe in Gelsenkirchen“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Auch der Förderverein hat sich 2015 aufgelöst. Die Pandemiezeit hat partnerschaftliche Städte-Kontakte in den vergangenen zwei Jahren weiter erschwert.
Gelsenkirchener OB Welge schreibt Brief an Amtskollegin in Schachty
Bislang hat Oberbürgermeisterin Karin Welge „kaum Chancen gehabt, sich persönlich mit Vertretern der Partnerstädte auszutauschen“. Corona habe das verhindert, so Schulmann. Dennoch bezieht die OB angesichts des Ukraine-Konflikts auch im Fall Schachty Position und wendet sich schriftlich direkt an ihre Amtskollegin Bürgermeisterin Irina Alexandrowna Schtschukowa.
„Jegliche militärische Angriffe und politische Entscheidungen der russischen Regierung, die den Frieden in Europa derzeit erheblich verletzen, verurteile ich ausdrücklich“, schreibt Welge. „Jedoch bleibt der Krieg nicht als Konflikt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sondern vielmehr als Konflikt zwischen den Regierungen der Länder wahrzunehmen. Auch wenn angesichts der aktuellen Situation eine Weiterentwicklung unserer langjährigen Städtepartnerschaft derzeit leider schwierig erscheint, will ich betonen, dass sich meine Kritik ausschließlich an die russische Regierung richtet und nicht an jene Teile der russischen Bevölkerung, die weiterhin für Demokratie und Menschenrechte eintreten.“ Gelsenkirchen stehe für Solidarität und unterstütze „alle Menschen in Russland, welche sich für einen friedlichen sowie demokratischen Zusammenhalt der Länder engagieren“. Weiteres Thema: Ukraine-Krieg: Gelsenkirchener warnt bei Spenden vor blankem Aktionismus
Liberale fordern sofortige Einstellung der partnerstädtischen Verbindungen
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine bekam die Partnerschaft ohnehin eine politische Dimension. Die FDP forderte bereits vergangene Woche Konsequenzen. „Der Angriffskrieg Putins ist ein Verbrechen an den Menschen der Ukraine und ein Anschlag auf die Demokratie. Daher fordere ich die sofortige Einstellung der partnerstädtischen Verbindungen zu Schachty in Russland“, so Fabian Urbeinczyk. Eine Reaktion kam umgehend von Jan Specht. Die sei „genau das falsche Signal, eine politische Dummheit und unnötige Verschärfung. Städtepartnerschaften müssen gepflegt werden als Freundschaft zwischen den Völkern“, betont der AUF-Stadtverordnete.
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Städtepartnerschaften aufzugeben steht auch für den Deutschen Städtetag nicht auf der Agenda, ebenso wenig im Referat Rat und Verwaltung der Stadt. Dort hält man am zivilgesellschaftlichen Austausch fest. Gerade mit Städten in Ländern mit schwierigen Regimen böten Partnerschaften die Chance, mit der Bevölkerung in Kontakt zu bleiben.
Kontakt beschränkt sich auf den Austausch von Grußbotschaften
Enge Beziehung zu Newcastle
Immerhin: 2019 gab es Partner-Jubiläen zu feiern. Damals reisten Delegationen aus England, der Türkei, Polen und Bosnien-Herzegowina ins Revier – großer Empfang im Industrieclub, touristisches Programm und Eintrag ins Goldene Buch der Stadt inklusive.
Besonders zu Newcastle pflegte Frank Baranowski in seiner Zeit als Gelsenkirchener Oberbürgermeister engen Kontakt – auch weil sich Gelsenkirchen in puncto Strukturwandel durchaus intensiv mit positiven Veränderungen in Newcastle beschäftigte.
Zu Cottbus (seit 1995), Zenica in Bosnien-Herzegowina (1969), Büyükçekmece in der Türkei (2004) mit dem polnischen Olsztyn/Allenstein (1992) und – bereits seit 1948 – mit Newcastle upon Tyne in England pflegt Gelsenkirchen offiziell und auch auf bürgerschaftlicher Ebene partnerschaftliche Beziehungen. Zuletzt lieferten „60 Jahre Anwerbeabkommen“ mit der Türkei die Vorlage, den ohnehin engen Kontakte mit Büyükçekmece noch einmal zu intensivieren. Allerdings beschränken sich die Beziehungen in Bezug auf Zenica und Cottbus auf wenige Projekte und zu Schachty vor allem auf den obligatorischen Austausch von Grußbotschaften. Lesen Sie auch:Gelsenkirchen feiert 70 Jahre Städtepartnerschaft mit Newcastle
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Schachty liegt in einer der größten Kohleregionen der Erde. Der Stadtname bedeutet Zeche. Schachty war zu Beginn der Städtepartnerschaft 1989 wie Gelsenkirchen Bergbaustadt. Vor allem Studenten aus Russland haben bis in die 2010er Jahre von dem Partnerkontakt profitiert. Sie konnten für vier Wochen nach Deutschland reisen und in Gelsenkirchener Unternehmen hospitieren. In der Zeit wohnten sie in enersten jahrenbei Privatfamilien, später im Haus Heege, dem Schülerwohnheim der GGW. Ralf Klüppelberg als Vorsitzender des Fördervereins hatte die Kontakte angebahnt. Gazprom unterstütze die Besuche 2007 und 2008 mit einem geringen Zuschuss, von 2008 bis 2012 habe der Konzern laut Klüppelberg jedoch nur noch den Besuch eines Schalke-Spiels finanziert.
Gazprom finanzierte den russischen Studenten den Besuch eines Schalke-Spiels
Vorangetrieben wurde die Beziehung seitens der Russen vor allem durch Bürgermeister Sergej Ponamarenko. Er sorgte auch für das wohl ungewöhnlichste Stück im Sammelsurium der Stadtgeschenke. Ponamarenko und seine Kulturdezernentin Viktoria Dorochowa übergaben OB Frank Baranowski 2006 eine ebenso kräftig wie kunstfertig aus schwarzem Leder geflochtene Peitsche. Den Ochsenziemer überreichte der Gast dem OB mit dem Hinweis, er könne damit ja mal im Rat für Aufmerksamkeit sorgen. Lesen Sie auch: Raritäten und Kuriositäten als Gastgeschenke für Gelsenkirchen