Gelsenkirchen. Gelsenkirchen – eine der ärmsten Städte Deutschlands. Das sind die Gründe für die Verschuldung, diesen Ausweg gibt es aus der Schuldenfalle.
Es ist immer dieselbe Frage, die Markus Veldhoen und sein Team sich stellen: „Was hilft den Menschen?“ – und diese Hilfe, sie wird in einer der ärmsten Städte Deutschlands dringend gebraucht. Seit über 20 Jahren berät die Gafög ver- und überschuldete Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener. Und der Bedarf, er ist in den vergangenen Jahren, erst recht Monaten, immer größer geworden.
Gelsenkirchen – ärmste Stadt Deutschlands: Diese Schicksale stecken hinter den Schulden
Dabei sind Schulden längst kein Randphänomen mehr: „Es betrifft alle Altersgruppen, die alten und jungen Menschen“, berichtet der Teamleiter der Schuldnerberatung bei der Gafög, Markus Veldhoen, an diesem Januarmorgen in seinem Büro an der Kurt-Schumacher-Straße in Buer. Doch längst haben nicht alle finanziellen Probleme der verschuldeten Gelsenkirchener ein und dieselbe Ursache. Eines aber ist klar: Es nutzen viele Menschen ohne Schulabschluss und Ausbildung die Gafög-Beratung.
In Kooperation und im Auftrag der Stadt arbeiten schon seit 2005 die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung Gelsenkirchen der Verbraucherzentrale, die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung Gelsenkirchen des hiesigen Diakoniewerks und eben die Gafög zusammen.
Überblick:Hier leben die Gelsenkirchener mit den meisten Schulden
Die vergangenen beiden Pandemie-Jahre waren für alle Beratungsstellen besonders, wie aus dem Jahresbericht 2019/2020 der Schuldnerberatung hervorgeht. Corona stellte auch die drei Beratungsstellen vor eine Vielzahl neuer Aufgaben. Schnell hätten beispielsweise Wege gefunden werden müssen, um die Beratungen in digitaler Form stattfinden zu lassen und den ratsuchenden Kundinnen und Kunden auch weiterhin einen schnellen und unbürokratischen Zugang zu garantieren.
Mehr Männer als Frauen gehen den Weg zur Schuldnerberatung in Gelsenkirchen
In den Jahren 2018 bis 2019 haben mehr Männer als Frauen eine Beratung durch die Schulden-Experten in Anspruch genommen. „Gut zwei Drittel der Beratenen waren deutscher Abstammung und ein Drittel der Ratsuchenden kam aus EU-Staaten beziehungsweise nicht EU-Staaten“, heißt es in dem Bericht weiter. Der Hauptanteil der Menschen, die eine Beratung suchten, liegt in der Altersgruppe der 25- bis 65-Jährigen. Im Jahr 2020 habe es 1571 neue Fälle gegeben, im Jahr 2019 waren es 1756 neue Fälle. 2018 lag die Zahl bei 1552.
Etwas, das sich aus der Vergangenheit wiederholt: 2020 waren die Bezieher von SGB II-Leistungen die am stärksten betroffene Personengruppe. Eine Überschuldung macht es schwer, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Der Großteil der Ver- oder Überschuldeten musste Schulden bis zu einer Höhe von 10.000 Euro bei bis zu fünf Gläubigern zurückzahlen.
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Und was sind die Gründe für die Verschuldung? Was ist in der Vergangenheit passiert, dass das Geld häufig so knapp ist? „Die großen Ursachen sind der Verlust von Arbeitsplätzen, Trennung oder Tod des Partners oder eine Erkrankung“, erläutert Markus Veldhoen. Immer wieder dabei seien auch Menschen, die Suchtproblematiken aufweisen – dabei seien etwa von Spielsucht betroffene „Einzelfälle“. „Es gibt viele Facetten, warum jemand in Schulden steckt. Daraus resultieren auch private Probleme“, so Veldhoen weiter.
Bei den 30- bis 40-Jährigen, so Veldhoens Erfahrung, stecke meist die unbedingte Absicht und ein gewisser Druck dahinter, die Schulden abzubauen – das liege oftmals auch am Familienstand oder anderen Verantwortungen. Bei den Menschen unter 25 Jahren hat Veldhoen diese Beobachtung gemacht: „Sie haben keinen Antrieb, sich mit einem echten Ziel zu entschulden.“
Die Verschuldung der Über-65-Jährigen hat laut dem Schuldenexperten zugenommen, obwohl es sich immer noch um eine kleinere Gruppe handele. „Wir haben mehr Menschen als früher in der Beratung.“ Sie hätten häufig Investitionen gemacht, die sie dann doch länger durchs Leben getragen haben. Eine Erklärung für Schulden und Kreditverpflichtungen im Alter: „Man steht länger im Konsumleben, hat aber nicht die Mittel, um den Kredit abzubezahlen.“
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Andere wiederum befanden sich mal in einer Notlage, der schnelle Kredit half – „manche haben auch nicht die Wahl, und das kann man durchaus mit ins Rentenalter schleppen“, weiß der studierte Jurist Veldhoen. Altersarmut ist nicht selten die letzte Konsequenz.
Sogenannte Verbraucherdarlehen sorgen nahezu in allen Schuldnergruppen für einen leichteren Umgang mit Krediten. Und, ein weiterer wichtiger Aspekt: „Für manche Banken ist das offensichtlich ein Geschäftsmodell“, weiß Veldhoen. „Manche Banken sagen selten Nein“, hat der Schuldnerberater beobachtet. Die Verlockung nach der fix realisierten Finanzspritze ist oftmals größer, die Möglichkeiten, schnell an eine Finanzierung zu kommen, vielfältiger – da kommt es kaum auf die Rahmenbedingungen eines Kredits oder überhaupt darauf an, dass das Geld irgendwann ja doch zurückgezahlt werden muss.
Eine weitere Beobachtung, die der Schuldnerberater gemacht hat: „Es sind vor allem Alleinerziehende, die ein großes Problem haben, über die Runden zu kommen.“ Das Geld reiche hinten und vorne nicht, da kommt ein Kredit oder Darlehen gerade recht.
Die Schuldnerberatung
Die Schuldnerberatung von Gafög, Verbraucherzentrale und Diakoniewerk ist kostenfrei und unverbindlich und bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Markus Veldhoen rät allen Verschuldeten, bei der Wahl der Beratungsstelle aufmerksam zu sein: „Es gibt auch viele unseriöse Angebote“, erklärt er, vor allem im Internet. Die Schuldnerberatungen der drei oben genannten Stellen hingegen ist offiziell anerkannt.Die Schuldnerberatung der Gafög ist erreichbar unter 0209/4203801 oder per E-Mail unter schuldnerberatung@gafoeg.de .Die Mitarbeitenden der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung Gelsenkirchen der Verbraucherzentrale NRW sind unter 0209/157603-06 oder 0209/-157603-01 oder per E-Mail unter gelsenkirchen.insolvenz@vz-nrw.deansprechbar.Die Kontaktdaten der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakoniewerks Gelsenkirchen und Wattenscheid: 0209/1609110, E-Mail: sekretariat@meinediakonie.de.
Als einzigen Ausweg aus der Schuldenfalle und wirklich gute Perspektive sieht Veldhoen das Werkzeug Privatinsolvenz. „Wenn man Ruhe reinkriegen will, ist das eine sehr gute und faire Lösung“, erklärt er. Denn vielfach würden Inkassounternehmen keine Ruhe geben, wenn sie an ihr Geld kommen wollen. Drei Jahre sind für ein Insolvenzverfahren veranschlagt – „ein Riesen-Vorteil“, wie der Schulden-Experte es nennt. „Danach ist man wirklich alle Schulden los.“ Doch gerade vor einem solchen Verfahren haben die Menschen Angst und Sorge. „Ich sehe da eigentlich keine Stigmatisierung“, so Veldhoen weiter.
Was der Schuldnerberater aber mit Blick in die nahe Zukunft sieht: „Dass der Beratungsbedarf ansteigen wird, wenn sich die Corona-Lage entspannt.“