Gelsenkirchen. Das gibt es nur einmal in Gelsenkirchen: Das Ehepaar Can hat das erste Gehörlosen-Café der Stadt ins Leben gerufen. Warum es ein Rückzugsort ist.
Das Café ist gut gefüllt. Die Gäste unterhalten sich angeregt. Dennoch ist es nahezu still im Raum. Alle, die hier sind, beherrschen und gebrauchen die Gebärdensprache. Es ist Gelsenkirchens einziger regelmäßiger Treff für Gehörlose, der nun einmal im Monat im Alfred-Zingler-Haus stattfindet.
Gelsenkirchens erster Gehörlosen-Treff: Einmalig für die Stadt und die Besucher
Hände wirbeln durch die Luft, gestikulieren in Windeseile. Auf den ersten Blick irritiert das etwas. Alle unterhalten sich in einer Sprache, die man selbst nicht versteht. Ebenso gut könnten alle im Raum Chinesisch sprechen. Dann aber wandelt sich der Eindruck. Wer sich wirklich einlässt, mit einem der Gäste das Gespräch sucht, der versteht ein paar Gesten und kann auch antworten – mit den sprichwörtlichen Händen und Füßen und viel Kreativität.
Die Idee zu diesem besonderen monatlichen Treffen hat vor einigen Monaten das gehörlose Ehepaar Hayriye und Tuncay Can. „Zum Unterhalten, zum Austausch und gemeinsamen Lachen“, sagt sie. Warum das nicht in einem ganz normalen Café geht? Das sei schwierig. Da fühle man sich oft nicht willkommen. Viele Menschen fühlten sich belästigt durch die raschen Gebärden und manchmal recht unverständlichen Laute.
Die Idee, selbst zum Café zu laden, liegt für das Paar nahe. Denn dafür sind sie bestens gerüstet. Beide sind Bäcker von Beruf und schon jetzt, beim dritten Treffen, sind ihre selbst gebackenen Kuchen heiß begehrt. Die bringen sie von zu Hause mit. Nach dem Kaffee aber wird stets auch gemeinsam gekocht. Heute soll es Pizza geben. Die Zutaten stehen schon in der Küche bereit.
Hayriye und Tuncay Can sind mit ihrem Einsatz für die Community das Herz des Cafés. Auch, weil sie wissen, wie wichtig so ein geschützter Raum für Gehörlose ist. In ihrer Jugend lernen sie sich auf einer Party kennen. Sie ist damals 19, er 23 Jahre alt. Als sie sich erinnern, strahlen sie, schauen einander an wie frisch verliebt. Im Kopf des Zuhörers entstehen Bilder – und eine Klangkulisse. Doch wie erleben Gehörlose eine Party mit flotter Musik. „Wir können sie mit unserem Körper spüren. Besonders die Bässe“, erklärt Tuncay Can. Ein bisschen denkt man an den Grönemeyer Song und die Zeilen: „Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist, wenn der Boden unter den Füßen bebt. Dann vergisst sie, dass sie taub ist.“
Ob es Liebe auf den ersten Blick war? Wieder strahlen beide, verraten, besonders bei ihm. „Er hat mir seine Nummer gegeben und wir haben uns vier Monate lang geschrieben, bevor wir uns getroffen haben“, erzählt Hayriye Can. Es sei schon besser, in jedem Falle einfacher, wenn sich zwischen zwei Gehörlosen eine Beziehung entwickele. Unüblich sei das auch nicht. Denn die Kommunikation ist eine Hürde. Und Gebärdensprache könne man leider nicht an jeder Ecke lernen.
Gehörlose in Gelsenkirchen: Möglichkeiten der Freizeitgestaltung fehlen
Im Jahr 2003 heiraten die beiden. Heute haben sie drei Kinder. Der älteste Sohn wird bald 18 Jahre alt und ist auch gehörlos. Die beiden Töchter, elf und 16 Jahre alt, können hören. Zu Hause wird meist die Gebärdensprache genutzt. Die Kinder sind wie selbstverständlich damit aufgewachsen. Und so ist bei den Kleinen das erste Wort eine Geste gewesen. Hayriye Can erinnert sich an einen dieser Momente bei einer ihrer Töchter: „Mit einem Jahr hat sie zum ersten Mal die Gebärde für Trinken gemacht.“
Mittlerweile ist die Stimmung im Raum immer gelöster. Die Besucher werden kaum mehr wahrgenommen. Abgesehen von regelmäßigen Angeboten einer Tasse Kaffee oder eines Stückes Kuchen. „Möglichkeiten der Geselligkeit und Freizeitgestaltung, die fehlen einfach“, erzählt Klaus-Dieter Seiffert. Ihn haben die Gehörlosen beim ersten Café-Treff zu ihrem Interessenvertreter gewählt.
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Das sei bitter nötig, meint er und sagt ganz deutlich: „In Sachen Inklusion sind wir gescheitert.“ Bis heute gebe es eine Kluft zwischen Hörenden und Gehörlosen. Aus der Tatsache, dass letztere die akustische Welt nicht oder kaum wahrnehmen können, seien eine eigene Sprache und Kultur entstanden. Seit Jahren schon fordert Seiffert, der selbst ertaubt ist, aber dank eines modernen Implantates hören kann, deutlich mehr Angebote für Hörende, die Gebärdensprache zu erlernen. Das könnte ein guter erster Schritt sein zu mehr Miteinander.
Das Gehörlosen-Café ist kostenlos
Das Gehörlosen-Café findet immer am dritten Samstag im Monat im Alfred-Zingler-Haus, Margaretenhof 10–12, statt. Nur für den Juli ist eine Sommerpause geplant.Der Treff ist offen für alle und kostenlos. Tatsächlich können auch hörende Menschen dazukommen. „Wir sind offen für alle“, betont Klaus-Dieter Seiffert.Das Angebot ist stark frequentiert. Beim ersten Treffen kamen rund 50 Leute her. Insgesamt, schätzt Seiffert, gebe es in Gelsenkirchen rund 500 Gehörlose.
Ein wenig später beobachtet er lachend die etwas unbeholfene Kommunikation der hörenden Besucherin mit einer gehörlosen Frau. Doch irgendwie klappt es. Auch wenn es vielleicht ein kleines Schauspiel ist. Klaus-Dieter Seiffert schmunzelt. „Jeder kann Gebärdensprache.“ Und überhaupt sei jene die älteste Sprache der Welt. „Schon die Neandertaler haben so kommuniziert.“