Gelsenkirchen. „Hausbesuch“ heißt eine neue Reihe, die Kulturschaffenden Auftritte in fremden Wohnzimmern bietet. Die Premiere wurde zum wunderschönen Abend.

Guy Bitan hat in seinem Musikerleben schon Hunderte Auftritte gespielt. Doch jener neulich an der Seite von Stefanie Schulte-Hoffmann am Akkordeon war für den leidenschaftlichen Gitarrenspieler, der in Paris aufgewachsen ist und seit 1977 in Gelsenkirchen lebt, schon etwas ganz Besonderes: Denn er fand mitten im Wohnzimmer von Reinhard Doppelfeld und Annette Busse in Resse statt. Sie waren die Gastgeber des allerersten Konzerts im Rahmen der neuen Reihe „Hausbesuch“. Und die einhellige Meinung aller Beteiligten lautete: „Es war ein wunderschöner Abend.“

Ziel der Reihe: Kulturschaffenden auch in Pandemie-Zeiten Auftritte ermöglichen

Sie harmonieren blendend: Guy Bitan und Stefanie Schulte-Hoffmann haben sich beruflich an der Musikschule Herne kennen gelernt. Jetzt treten sie privat als musikalisches Duo auf.
Sie harmonieren blendend: Guy Bitan und Stefanie Schulte-Hoffmann haben sich beruflich an der Musikschule Herne kennen gelernt. Jetzt treten sie privat als musikalisches Duo auf. © Unbekannt | Oliver Mengedoht

Die Idee zu diesen besonderen Begegnungen hatte das städtische Referat für Kultur. Die anhaltende Pandemie hat in den zurückliegenden zwei Jahren die Zahl der Kulturbegegnungen auf ein kümmerliches Minimum herabsinken lassen. „Unser Format Hausbesuch will den Kontakt zwischen Künstlerin und Künstler und Besucherin und Besucher im kleinstmöglichen Format wieder herstellen“, sagt Kulturreferentin Antje Grajetzky als zuständige Projektbetreuerin.

Nach einer Ausschreibung unter Kunstschaffenden, die in Gelsenkirchen leben oder arbeiten und mitmachen wollten, kamen am Ende 20 verschiedene Formate zusammen: darunter zehn Wohnzimmerkonzerte, ein Kabarettprogramm, drei Lesungen, fünf Besuche von bildenden Künstlerinnen und Künstlern sowie eine Tanzperformance. Für eine dieser Veranstaltungen konnten sich daraufhin interessierte Bürger als Gastgeber bewerben. Und für den Auftritt von Gitarrist Guy Bitan und Stefanie Schulte-Hoffmann erhielt Reinhard Doppelfeld den Zuschlag.

Musik zwischen Kamin und Kommode

Der 74-Jährige aus Resse engagiert sich im Alltag beim Verein Kultur-Pott Ruhr und ist dort der Leiter des Gelsenkirchener Teams. „Normalerweise machen wir uns jedes Jahr als Weihnachtsfeier einen schönen gemeinsamen Abend“, erzählt er. Den verlagerte er diesmal aber aus einer öffentlichen Gaststätte in seine heimischen vier Wände. Und so saßen insgesamt zehn ehrenamtliche Helfer auf den Stühlen und Sesseln, die der Gastgeber im hinteren Teil seines Wohnzimmers im Halbkreis aufgestellt hatte.

„Von der Akustik her war es viel besser als erwartet. Das lag wahrscheinlich an den schönen hohen Decken hier“, lautete das Fazit von Gitarrist Bitan. Er und seine Mitstreiterin, die schon seit längerem als Duo auftreten, hätten zuletzt nicht einmal eine Handvoll Auftritte gehabt. „Wir brauchen es aber, zu spielen“, betont der frühere Fachbereichsleiter an der Musikschule Herne und heutige Rentner. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens fügt er hinzu: „Das Publikum ist für uns Musiker wie der Sauerstoff zum Atmen.“

Duo bevorzugt Stücke von südamerikanischen Komponisten

Neun Stücke präsentiert das musikalische Duo seinem konzentriert lauschenden Publikum an diesem Abend, der geprägt ist von einer lauschig-heimeligen Atmosphäre zwischen Kamin und Kommode. Es gibt Werke des argentinischen Komponisten Maximo Diego Pujol zu hören, aber auch Musik aus Uruguay. „Wir spielen nun einmal sehr gern südamerikanische Musik“, gibt Bitan, der tunesische Wurzeln hat, zu Protokoll.

Nicht nur er schwärmt nachher von dieser kulturellen Begegnung im ungewöhnlichen Format. Auch die Hausherren sind begeistert: „Es herrschte die ganze Zeit eine richtig schöne Gemeinschaftsstimmung, die uns alle durch das Konzert getragen hat“, sagt Reinhard Doppelfeld, der seit 1978 in der alten Bertlich-Villa in Resse lebt. „Der ganze Raum war voller Freude.“ Er kann jedem Kulturinteressierten nur empfehlen, einmal selbst in die Gastgeberrolle zu schlüpfen.

Auch Gitarrist Bitan hofft auf eine Fortsetzung dieses finanziell geförderten Projektes „Hausbesuch“. Dieses beschere vielen betroffenen Künstlern nach Monaten der Entbehrung nicht nur ein kleines Honorar. Es sei auch eine besondere Erfahrung: „Denn nur selten sitzt man so nah und unmittelbar beim Publikum“, sagt Bitan. „Und noch nie habe ich so direkt und intensiv Reaktionen auf einen meiner Auftritte bekommen.“