In Gelsenkirchen sind die ersten sechs Stolpersteine verlegt worden: Der Kölner Konzeptkünstler Gunter Demnig ließ an drei Stellen im Stadtgebiet Steine mit Gedenktafeln für Opfer der Nazis ins Pflaster ein: an der Markenstraße in Horst, an der Florastraße sowie an der Kolpingstraße in der City.

Von rechts dröhnt der Verkehr der Husemannstraße, links hetzen Passanten über die Bahnhofstraße. Es riecht nach Urin. Und im benachbarten Schaufenster werden Polo-Shirts für 9 Euro angepriesen. Trotzdem könnte dieser Moment nicht bewegender, nicht ergreifender sein. Der Moment, in dem Esther Goldschmidt auf der Kolpingstraße zwischen C&A und Kaufhof vor drei Stolpersteinen steht und einen Brief verliest, den sie an ihre drei von den Nazis ermordeten Verwandten geschrieben hat.

Aus Flensburg ist die gebürtige Hernerin angereist, um am Montagmorgen dieser Premiere beizuwohnen - als Patin der Steine für die getöteten Gelsenkirchener Juden Fritz und Grete Goldschmidt sowie Mathilde Wertheim, geborene Goldschmidt, genannt Tilla. „Heute schreibe ich euch zum ersten Mal einen Brief”, liest sie mit zitternder Stimme. Und: „Eure Reise führte euch nach Riga, nach Stutthof, ... und dort ... und dort ... musstet ihr sterben ... alle so jung.”

Einen Stolperstein hat der Kölner Konzeptkünstler Gunter Demnig zuvor für jeden der drei Goldschmidts, die hier einst ihren Lebensmittelpunkt hatten, ebenerdig ins Pflaster gesetzt. So wie er es in 442 Städten zuvor bereits gemacht hat. „Hier wohnte . . .” steht auf jeder Messingplatte, es folgt Name, Geburts-, Todesdatum.

Rückblende, eineinhalb Stunden früher, Markenstraße 19, Horst-Süd. Hier wohnten einst . . . Frieda und Simon Neudorf, bevor sie von den Nazis deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden. Kurz vor 9 Uhr fährt Demnig (61) mit seinem roten Bulli in Horst vor, packt sein Handwerkszeug aus und macht sich an die Arbeit. Andreas Jordan (Gelsenzentrum), Initiator der lokalen Stolperstein-Bewegung, verliest vor rund 40 Zuhörern einen Brief vom Stein-Paten Herman Neudorf (84), der in den USA lebt. Der Sohn der Neudorfs entging als Jugendlicher im KZ knapp dem Tod. „Möge dieser denkwürdige Akt der Stolpersteinlegung als Mahnung an kommende Generationen dienen”, schreibt Neudorf. Er bedankt sich ausdrücklich bei Andreas Jordan. Und bedauert, dass er nicht selbst kommen konnte.

Nach der Einlassung der Steine wird eine rote Rose mit schwarzer Schleife auf den Apshalt gelegt, der jüdische Vorbeter Yuriy Zemskyi spricht (und singt) das Gebet „El male rachamim”. Diese Zeremonie wiederholt sich kurz darauf auf der Florastraße 84, wo mit einem Stolperstein der ebenfalls von den Nazis ermordeten Jüdin Regina Spanier gedacht wird, und schließlich auf der Kolpingstraße.

Die (denk-)würdige Stolperstein-Premiere endet mit einer Matinee im Bildungszentrum, zu der das Internetforum Gelsenkirchener Geschichten und ein daraus hervorgegangener Unterstützerkreis für das Projekt eingeladen haben.

Bereits im Februar sollen die nächsten Gelsenkirchener Stolpersteine verlegt werden. Damit auch für weitere von den Nazis ermordete Menschen gilt, was Esther Goldschmidt in dem Brief an ihre Verwandten so formuliert hat: „Ich werde dafür Sorge tragen, dass man euch nicht vergisst. Versprochen!”

Lob und Vorbehalte

Fast 20 000 Stolpersteine hat Gunter Demnig in halb Europa bereits verlegt. Trotzdem war es für ihn kein alltäglicher Termin: „Es ist immer etwas Besonderes, die Stolpersteine in einer Stadt zum ersten Mal zu verlegen.”

Zur Verlegung auf der Kolpingstraße kam auch OB Frank Baranowski - und bezeichnete das Projekt als „eindrucksvolle Form des Gedenkens”. Konkurrenz zwischen Stolpersteinen und „Erinnerungsorten” (dem vom Rat beschlossenen Projekt) sehe er nicht: „Gut, dass es beides gibt.” Lob für Demnigs Engagement fand auch Judith Neuwald-Tasbach (Vorsitzende jüdische Gemeinde), die an allen drei Verlegungen teilnahm. Aber: Das Konzept sage ihr nicht zu, weil man „mit Füßen auf die Namen der Opfer tritt”. Sie bevorzuge die Erinnerungsorte, weil die (auf Tafeln) mehr Infos lieferten.

Im Bildungszentrum erinnerte Kulturdezernent a.D. (und Stolpersteine-Unterstützer) Peter Rose an den Nazi-Terror. Elisbabeth Schulte-Huxel, Patin des Steins für Regina Spanier, überbrachte Grüße von deren in Schweden lebenden Enkelin Ilse Reifeisen. Außerdem las Esther Goldschmidt aus ihrem (veröffentlichten) Tagebuch. Für die Begrüßung sorgte Lothar Lange (GE-Geschichten).