Gelsenkirchen. Job-Ängste für bis zu 600 Uniper-Beschäftigte an Technologie-Standorten in Gelsenkirchen. Anlagenservice wird geschlossen. Betriebsräte empört.

Die Gerüchte verdichteten sich in der vergangenen Woche. Die Job-Sorgen an den Uniper-Standorten in Gelsenkirchen-Hassel wuchsen. Donnerstag wurde den Belegschaften schmerzlich klar, dass ihre Ängste berechtigt waren: An den Gelsenkirchener Technologiestandorten, der Anlagenservice GmbH an der Bergmannsglückstraße 41-43 und Uniper Technologies am Standort Alexander-von-Humboldt-Straße, wird es massive Veränderungen geben. 600 Stellen sind in Summe bedroht, schätzt die Industriegewerkschaft IGBCE in einer ersten Stellungnahme. Besonders betroffen: der Anlagenservice.

Uniper plant am Standort Gelsenkirchen massiven Stellenabbau

Auch interessant

„Die Donnerstag vom Vorstand des Uniper Konzern verkündete Absicht einer vollständigen Abwicklung unserer Gesellschaft, steht absolut entgegengesetzt zu den bisherigen Plänen, in denen uns bis 2025 Zeit für den Aufbau und die notwendige Umstrukturierung zugesagt wurde“, betont André Dyba, Betriebsratsvorsitzender bei Uniper Anlagenservice. Die Betriebsräte sind „zutiefst enttäuscht, sprachlos über die Entscheidung, die unser Vertrauen in das derzeit handelnde Management schwer erschüttert.“ Sie erreiche mehr als 450 Mitarbeiter und ihre Familien völlig unvorbereitet, so Dyba, „und lässt nur unbeantwortete Fragen zurück“.

Das Uniper Humboldtforum in Hassel, Sitz der Uniper Technologies GmbH, war früher Zentrale des Veba-Öl-Konzerns. Auch dort wurde die Belegschaft Donnerstag über die Neuausrichtung des Energiekonzerns informiert.   liegt am Montag, 04. Oktober 2021 in Gelsenkirchen im Grünen. Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services
Das Uniper Humboldtforum in Hassel, Sitz der Uniper Technologies GmbH, war früher Zentrale des Veba-Öl-Konzerns. Auch dort wurde die Belegschaft Donnerstag über die Neuausrichtung des Energiekonzerns informiert. liegt am Montag, 04. Oktober 2021 in Gelsenkirchen im Grünen. Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Geschockt, betroffen und zunächst sprachlos hat auch Martin Krimphove, Betriebsratsvorsitzender bei Uniper Technologies (UTG), seine Kolleginnen und Kollegen erlebt. Im Homeoffice und nach der langen Lockdownzeit hätten viele „den Flurfunk nicht mitgekriegt“. Die Mitteilung traf sie entsprechend mittelbar.

Das Dienstleistungsgeschäft für Dritte wird von Uniper weitgehend eingestellt

Trotz ständiger Anpassung an die sich verändernden Marktbedingungen, der Erschließung neuer Geschäftsfelder und einzelner Erfolge und Verbesserungen habe das „Engineering-Geschäft bisher keinen unabhängigen finanziellen Beitrag zum Konzernergebnis leisten können. In Anbetracht des schwierigen Umfelds auf dem Dienstleistungsmarkt und einer nachteiligen Kostenposition hat die jüngste Überprüfung ergeben, dass ein eigenständiges Engineering-Geschäft in der derzeitigen Aufstellung nicht in der Lage ist, die strategischen und kommerziellen Erwartungen von Uniper zu erfüllen“, nennt das Uniper-Managment Gründe für die Neuausrichtung des Geschäftsbereichs mit insgesamt 1100 Mitarbeitenden in Deutschland und Großbritannien.

Wachstumsschwerpunkte Dekarbonisierung und grüne Kundenlösungen

Die Engineering-Kompetenzen des Unternehmens will Uniper künftig „auf den Betrieb der eigenen Anlagen und die Wachstumsschwerpunkte Dekarbonisierung und grüne Kundenlösungen wie Wasserstoff und erneuerbare Energien konzentrieren. Das Dienstleistungsgeschäft für Dritte im konventionellen Sektor werde dagegen eingestellt und auf Dienstleistungen für „Betreiber kerntechnischer Anlagen als weiteres neues strategisches Geschäftsfeld beschränkt“.

Auch interessant

Die Neuausrichtung, so Uniper, sei „mit weitreichenden organisatorischen Veränderungen und einem erheblichen Personalabbau einschließlich der Trennung von einzelnen Geschäftsaktivitäten verbunden“. In den kommenden Monaten würden in „enger Abstimmung mit den zuständigen Mitbestimmungsgremien die genauen organisatorischen Veränderungen erarbeitet“. Ergebnisse und die weiteren Schritte werden für das erste Quartal 2022 erwartet. Uniper-Vorstand David Bryson verspricht, „dass ein fairer Prozess aufgesetzt wird, um diese notwendigen Veränderungen umzusetzen und dabei Härten möglichst zu vermeiden“.

Gewerkschafter von Verdi und IGBCE sprechen von einem Vertrauensbruch

„Fassungslos, mit großer Bestürzung und Besorgnis“ reagiert Nadine Bloemers, Gewerkschaftssekretärin der IGBCE. Wie ihr Verdi-Kollege Florian Böhme spricht sie von einem Vertrauensbruch seitens des Unternehmens. Danach sei der Ausgangspunkt für Neustrukturierung eine Bewertung der Engineeringgesellschaften, deren Ergebnisse bereits seit März 2021 vorgelegen haben sollen. „Für uns stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse bewusst verheimlicht wurden?“ so Nadine Bloemers.

OB Karin Welge: Entscheidung ist bitter für die Betroffenen und die Stadt

„Der Verlust von hunderten qualifizierter Arbeitsplätze ist bitter für die Stadt und natürlich noch viel mehr für die Betroffenen. Die Pläne von Uniper sind ein harter Schlag für Gelsenkirchen“, stellt Oberbürgermeisterin Karin Welge fest. Bei allem Verständnis für die Herausforderungen durch die Energiewende sei sie auch enttäuscht: „Das Unternehmen und die Vorgängerinnen haben eine lange Tradition in unserer Stadt. Die Stadt ist und bleibt ein verlässlicher Partner für Uniper. Als Oberbürgermeisterin stehe ich aber solidarisch an der Seite der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Noch vor wenigen Wochen hatte ich gute und konstruktive Gespräche am Uniper-Kraftwerksstandort. Dabei hat es keine Hinweise auf eine so umfängliche Umstrukturierung im Uniper-Konzern gegeben. Nun muss mit dem Betriebsrat eine sozialverträgliche Lösung vereinbart werden.“

Welge suchte Donnerstag umgehend das Gespräch mit den Betriebsratsvorsitzenden. Sie will auch ein Gespräch mit der Geschäftsführung vereinbaren.

Im Mai 2020 galt UTG noch als künftiger Ingenieurdienstleister für den Konzern

„Erst im Mai 2020 wurde durch unseren Vorstand die Uniper Technologies GmbH (UTG) als der Technologiestandort des Konzerns definiert. Dabei sei die wichtige Rolle der UTG bei der Energiewende hin zur Dekarbonisierung des Konzerngeschäftes unterstrichen worden“, stellt der Betriebsratsvorsitzende Martin Krimphove. fest. In einem Arbeitgeberpapier, unterschrieben durch den Vorstand, sei unter anderem die Rolle des Standorts als Ingenieurdienstleister im Uniper-Konzern festgeschrieben worden. „Die nun vorgesehenen Maßnahmen stellen hier eine Kehrtwende dar, die fassungslos macht und aus Sicht des Betriebsrates nicht nachvollziehbar ist. Wir als Betriebsrat müssen und werden den Prozess begleiten und uns vehement für die Anliegen unserer Kolleginnen und Kollegen einsetzen“.

Strategisch ist der Schritt für die Gewerkschaften nicht nachvollziehbar

Allein am Standort Gelsenkirchen hat die Uniper Anlagenservice GmbH 420 Beschäftigte, noch einmal 336 Mitarbeitende hat die Uniper Technologies GmbH, rechnet die IGBCE. Von dem Arbeitsplatzabbau seien allein in Gelsenkirchen weit mehr als 600 Arbeitsplätze direkt betroffen, darüber hinaus weitere zahlreiche Jobs in den Auslandsgesellschaften und in den Zulieferbereichen“, so die Gewerkschaftssekretärin. Bloemers: „Die Nachricht, dass die Uniper SE als Arbeitgeber einen Kahlschlag vorbereitet, ohne mit den Betriebsräten und den Gewerkschaften vorher mögliche Zukunftsaufstellungen durchzuspielen, ist nicht nur für die Mitbestimmung, sondern auch für die betroffenen Beschäftigten ein Schlag ins Gesicht.“

Sie wollen keine Nachrichten aus Gelsenkirchen verpassen? Dann können Sie hier unseren kostenlosen Newsletter abonnieren.

Strategisch ist der Schritt für beide Gewerkschaften nicht nachvollziehbar. Verdi und die IGBCE halten ihn für falsch. Harald Seegatz, Konzernbetriebsrat-Vorsitzende von Uniper SE, rechnet insgesamt mit einem massiven Arbeitsplatzabbau von über 1200 Stellen in den nächsten Jahren und fordert einen Einstellungsstopp. Um Mitarbeitenden noch Perspektiven im Konzern aufzeigen zu können, müssen wir einen Einstellungsstopp verhängen und jetzt interne Lösungen für Besetzungen auf freie Stellen suchen“.