Gelsenkirchen. Jacqueline Kardell ist eine von wenigen Dachdeckermeisterinnen. Warum die Gelsenkirchenerin ihren Beruf so liebt - und ihr Job Familiensache ist.
Über den Dächern von Gelsenkirchen – kann es denn einen schöneren Arbeitsplatz geben? Wenn man Jacqueline Kardell fragt, wohl nicht. Die junge Frau ist eine der ganz wenigen ihrer Zunft. Im Garten ihres Elternhauses in Erle treffen wir eine 24-Jährige, die genau weiß, was sie will, die ihren Traumjob gefunden hat. Es ist ihr, so scheint es, eine Herzensangelegenheit. Und dazu noch Familiensache.
Die Gelsenkirchenerin Jacqueline Kardell ist eine von wenigen Dachdeckermeisterinnen
Denn diese Sache mit der Familie liegt auf der Hand: Jacqueline Kardells Vater Claas führt die Geschäfte, so, wie es zuvor schon sein Vater, Großvater und Urgroßvater taten. Und die junge Frau schickt sich an, in fünfter Generation die im Jahre 1910 gegründete Firma irgendwann einmal zu übernehmen.
Mit 16 Jahren startet die junge Jacqueline Kardell ihre Ausbildung – natürlich nicht im elterlichen Betrieb. „Es ist besser, woanders zu lernen“, erzählt sie lachend. Man sei dann nicht direkt die Tochter vom Chef, sagt sie auch. Also zieht es sie zunächst nach Horst zu einem Dachdeckerbetrieb. Zweieinhalb Jahre lernt sie dort, bevor es weiter geht ins Sauerland. [Lesen Sie auch:Impfstatus – das sagen Gelsenkirchener Unternehmen]
Der Grund: Die Meisterschule in Eslohe. Hier legt sie ihre Meisterprüfung im Dachdeckerhandwerk ab. Ihr Meisterstück? Ein kleines Dach aus Schiefer, alle Platten per Hand geschlagen, zwei Tage hat sie dafür gebraucht. Die Wölbung sei das Schwierigste gewesen, Jacqueline Kardell nennt es „Kehlbereich“, hat sie sehr gut gemeistert.
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Überhaupt ist diese Sache mit dem Hand-Werk im wahrsten Sinne des Wortes etwas, an das die Gelsenkirchenerin nicht nur fest glaubt, sondern auch darum weiß: „Die Handarbeit ist das, was nie verloren gehen wird. Ein Roboter wird uns nie ersetzen“, ist sie überzeugt.
Dachdeckermeisterin: Kein ganz ungefährlicher Job
Eigentlich wollte die 24-Jährige ja etwas ganz anderes machen, „was mit Menschen“. Doch früh wurde schnell klar: Ist nicht. „Ich bin schon immer gerne mit dem Papa rausgefahren und dann immer weiter reingewachsen“, erinnert sie sich. Ihre Mutter Barbara Kardell tut das auch: „Wir haben erstmal kurz geschluckt und nicht damit gerechnet“, berichtet sie von dem Moment, als ihre Tochter ihr von ihren Zukunftsplänen im Dachdecker-Handwerk erzählte. Als Eltern macht man sich ja immer gleich Sorgen.
Ist ja auch nicht ganz ungefährlich, dieser Job, trotz Sicherungsgurten, Gerüsten, Arbeitsschuhen mit Autoreifen-Sohle für den besseren Grip. Ein Adrenalin-Junkie ist Jacqueline Kardell aber keinesfalls – die Liebe zu ihrem Beruf treibt sie an. Der von Männern geprägt ist. Wollen wir das Klischee überhaupt bemühen? „Auf jeden Fall. Ich möchte darüber sprechen und das gerne“, sagt die Meisterin ihres Fachs.
Dachdeckermeisterin Kardell: „Der Ton ist rauer, man sollte schon was abkönnen“
Sie habe nie negative Erfahrungen gemacht, berichtet Jacqueline Kardell. Sie mag das „kumpelhafte Verhältnis“ unter ihresgleichen. Klar, der Ton sei rauer, „man sollte was abkönnen“. Es sei einfach ein „sehr ehrlicher Beruf“. Und schön ist er dazu – auch und gerade für Frauen. „Wir haben ein anderes Händchen, bringen nochmal andere Ideen mit, achten auf andere Sachen“, hebt die junge Gelsenkirchenerin das hervor, was Weiblichkeit unter Dachdeckern eigentlich ausrichten kann. Okay: „Die Kraft reicht dann doch manchmal einfach nicht so aus wie bei den Männern“, schränkt sie ein. Dann müsse man sich aber nur zu helfen wissen – es gibt ja genug Dinge zur Unterstützung.
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Dass die junge Frau sich schon früh entschied, in die Fußstapfen ihrer Väter zu treten, war gefühlt also schnell ausgemachte Sache, wenn man Jacqueline Kardell zuhört. Die Familiengeschichte weiterzuführen sei für sie eine „große Ehre“ und „ich bin da auch sehr stolz darauf“. Doch es gibt noch etwas anderes, das sie antreibt. Und ebenfalls Motivation für sie war, ihr Gesicht für die neue Wertschätzungskampagne „Gemeinsam Zukunft gestalten“ fürs Handwerk zur Verfügung zu stellen. Schon bald soll die Powerfrau auf Bauzäunen und Plakaten zu sehen sein.
Das Handwerk braucht dringend Nachwuchs – gerne auch weiblichen
„Wir brauchen unbedingt und dringend Nachwuchs“, erklärt sie ihre Beweggründe und sagt auch, dass mehr Frauen und Mädchen sich trauen sollten, mal über eine Beschäftigung im Dachdecker-Handwerk nachzudenken. „Es ist nicht immer nur Knüppeln“, das sei falsches Denken. Denn: „Dieser Beruf ist so abwechslungsreich, kein Dach ist gleich, man hat immer andere Gegebenheiten, steht vor anderen Herausforderungen – er kann gar nicht langweilig sein!“, ist Jacqueline Kardells Liebeserklärung an ihre Arbeit. [Lesen Sie auch:Rohstoff-Krise – So will NRW den Handwerksbetrieben helfen]
Ihr Vater Claas empfindet die Zusammenarbeit mit seiner Kolleginnen-Tochter übrigens als Unterstützung in jeglicher Hinsicht. Klar, es gibt auch „Reibungspunkte“, wie Jacqueline Kardell – wieder einmal – lachend erzählt. Diese Jacqueline Kardell, die auch mal bewusst und ziemlich gerne während der Arbeit auf höchste Stellen klettert, verweilt, um den Ausblick zu genießen. Über den Dächern von Gelsenkirchen – dem wahrscheinlich schönsten Arbeitsplatz der Welt.