Gelsenkirchen. Mit der Oper „Curlew River“ von Benjamin Britten startet das Musiktheater im Revier am Freitag in die neue Spielzeit. Eindrücke vom Probenbesuch.

Wenn Petro Ostapenko mit seinem mächtigen Holzstab kraftvoll auf den Boden des Altarraums schlägt, erfüllt ein dunkles Grollen das Innere der St.-Georgs-Kirche in Schalke. Auch die Stimme des bärtigen Sängers, der mit den anderen Solisten Adam Temple-Smith und Urban Malmberg auf der provisorischen Bühne probt, entfaltet in diesen Räumlichkeiten eine faszinierende Wirkung. Der Hall, aber auch die Komposition selbst sorgen für eine ständige Überlagerung von Klängen. Es sind diese Effekte, die „Curlew River“ zu einem ganz besonderen Hörerlebnis machen.

Georgskirche in Schalke ist bei allen fünf Aufführungen das feste Domizil

Adam Temple-Smith ist festes Ensemblemitglied des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier. Er übernimmt in Brittens Oper „Curlew River“ den Part der verrückten Frau. Hier ein Bild von der Probe am Montag.
Adam Temple-Smith ist festes Ensemblemitglied des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier. Er übernimmt in Brittens Oper „Curlew River“ den Part der verrückten Frau. Hier ein Bild von der Probe am Montag. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Mit dieser Oper des britischen Nationalkomponisten Benjamin Britten startet das Musiktheater im Revier (MiR) am Freitag, 27. August, um 20 Uhr in die neue Spielzeit 2021/22. Schauplatz des Auftaktabends wird eben nicht wie sonst üblich das Große Haus im MiR sein, sondern der Kirchenraum jenes Gotteshauses, das nur rund 200 Meter Luftlinie entfernt am Rande der Franz-Bielefeld-Straße liegt.

„Nach unserer ursprünglichen Idee wollten wir das Stück schon in der letzten Spielzeit zeigen – und zwar in sieben oder acht verschiedenen Kirchen in Gelsenkirchen, Gladbeck und Wattenscheid“, erzählt der in Gelsenkirchen geborene Regisseur Carsten Kirchmeier (48). Doch die immer weiter um sich greifende Corona-Pandemie verhinderte dies. Auch der Ausweichplan, das Stück im vergangenen Winter in das großräumige Foyer des Musiktheaters zu verlagern, schlug fehl. Nun also die Georgskirche als festes Domizil für insgesamt fünf Aufführungen.

Komponist Britten hatte den Hall des Kirchenraums bewusst mit eingeplant

Es seien zum einen „logistische Gründe“ gewesen, die zur Auswahl dieses Standortes geführt hätten, betont Regisseur Kirchmeier. „Wir können bis zur letzten Aufführung am 22. September durchgängig hier bleiben, so bleibt uns der permanente Umzugsstress erspart“, sagt er. Die Nähe zum Musiktheater habe ebenfalls eine Rolle gespielt. „Doch auch die Akustik hier in der Georgskirche ist wirklich klasse“, lobt Kirchmeier.

„Ein Kirchenraum ist immer etwas ganz Besonderes. Wir mussten lernen, mit dem Hall umzugehen“, sagt Peter Kattermann, der die musikalische Leitung innehat. Das galt sowohl für das siebenköpfige Orchester, das am Freitagabend auftreten wird, als auch für die vier Solisten und alle Mitglieder des Chors. Doch Britten habe diesen Effekt beim Komponieren ganz bewusst mit eingeplant, weiß Kattermann.

Jeweils rund 100 Gäste werden an fünf Abenden Platz in der Kirche finden

Das Stück bietet den rund 100 Besucherinnen und Besuchern, die laut Corona-Regeln derzeit bei Aufführungen auf den Holzbänken der Georgskirche Platz nehmen dürfen, eine Mischung aus Oper und Gottesdienst. Es gibt einen Einmarsch der Äbte mit gregorianischen Gesängen, aber es erklingen auch Trommeln und Flöten wie bei einem japanischen Maskenspiel. Das verwundert nicht, galt der 1976 verstorbene Komponist Britten doch als ausgewiesener Ostasien-Kenner und -Experte.

Solist Adam Temple-Smith übernimmt in eine weibliche Rolle, singt den Part der verrückt gewordenen Frau, die auf der Suche nach ihrem verschollenen Sohn ist. Bei den Proben trägt er Jeans und weißes T-Shirt, also Alltags-Straßenlook. Und dennoch bringt er sofort die Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit seiner Figur zum Leuchten, wenn er seinen gebeugten Körper in eine schlichte Decke hüllt und diese wie eine große Last seine Schultern zu Boden drückt.

Musikalischer Leiter: „Die Kirche ist für uns ein Glücksfall“

Ab und an unterbricht Regisseur Kirchmeier, gibt kurze, klare Anweisungen und entwickelt gemeinsam mit den Sängern alternative Bewegungsabläufe. Dann geht er zurück zur Holzbank in Reihe vier, streicht sich mit der rechten Hand durch seinen Bart, während er konzentriert und mit Argusaugen verfolgt, was ihm die drei Solisten da probeweise anbieten.

Die Klang der Orgel werde sich wie ein wabernder Nebel als Grundton fast über das gesamte Stück legen, verrät der musikalische Leiter Kattermann. Auch das Schlagzeug und arhythmisch einsetzende Chorpassagen spielen eine zentrale Rolle. Trotzdem werde der Klang „einfach schön und ganz besonders sein“, versicherte er am Ende der Probe. Und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Diese Kirche ist für uns ein absoluter Glücksfall.“