Gelsenkirchen-Buer. Etliche Besucher erfuhren bei einem Spaziergang mehr über die Hintergründe der einzelnen Arbeiten in den Berger Anlagen in Gelsenkirchen.
Wenn diese Kunst geschaffen wird, dann ist ihr Verfall unausweichlich. Er gehört sogar zum Konzept: „Diese Kunst ist nicht für die Ewigkeit“, sagt Tanja Sajko, freiberufliche Museumspädagogin. Heute ist ihr Arbeitsraum die Parkanlage am Schloss Berge. Hier gibt es seit knapp dreißig Jahren das Projekt „Kunst am Baum“, sprich Kunst am lebenden oder vielmehr am sterbenden Objekt. Und die stellt sie einer Besuchergruppe nun vor.
„Es werden nur die Bäume zur Verfügung gestellt, die sonst gefällt würden“, erzählt Tanja Sajko auf dem kurzen Fußweg zum ersten Objekt – und verrät sogleich, dass es immer wieder Wunder gibt. Totgesagte leben länger, das gilt auch bei Bäumen. Zuweilen. Aber dazu später mehr. Zunächst nämlich steht das jüngste Objekt im Mittelpunkt, der „fliehende Baum“ von Bernd Mönekes, einem gebürtigen Gelsenkirchener und passionierten Umweltschützer. Seine Kunst, von der hier ein sehr typisches Exemplar zu sehen sei, thematisiere das seit 1986. „Sie sehen hier eine eher männliche Skulptur mit nach oben ausgestreckten Armen. Der Baum scheint den Himmel mit der Erde zu verbinden.“
Gelsenkirchener Bäume klammern sich ans Leben - Stamm-Skulptur treibt wieder aus
Die Führung geht weiter zum Baum des letzten Jahres. Eine beeindruckende Überraschung erwartet hier die Besucher: Nach der Bearbeitung hat der Baum, eine Esche, wieder ausgeschlagen. Das Kunstobjekt lebt. „Manche Bäume blühen durch die Bearbeitung auf“, so die Museumspädagogin. „Bäume klammern sich mit ihren Wurzeln sehr stark ans Leben.“
Die Skulptur von Sibylle Pieper widmet sich auch inhaltlich dem Leben der Bäume. Dazu müsse man wissen, Eschen stürben derzeit vielfach aus, so Sajko. „Sehen sie oben in der Gabelung die hölzerne Kugel? Die ist mit Samen des Baumes gefüllt. Die Idee ist, wenn das Kunstwerk zerfällt, die Samen wieder freizugeben und so neue Eschen entstehen zu lassen.“ Der Name der Skulptur, „Skuld“, sei eine Reminiszenz an die Weltenesche Yggdrasil, unter der die drei weisen Nornen sitzen, wie es die Edda (Sammlung altnordischer Götter- und Heldenlieder) erzählt. Eine der Nornen heißt „Skuld“, was soviel bedeutet wie „Schuld“ oder auch „Zukunft“. Für Tanja Sajko bedeutet das: „Was wir tun, wirkt sich auf die Zukunft aus.“
Besucher vermissen eine Karte von den Objekten in Gelsenkirchen
Wieder sind ein paar Meter zu laufen. Zeit für ein kurzes Gespräch unter den Teilnehmern. Gabriele Zimmermann aus Ückendorf wandelt zum ersten Mal auf den Spuren der Kunst am Baum. „Ich wollte das schon immer machen. Aber ich finde es sehr mühselig, allein auf die Suche zu gehen.“ Zumal es keine Karte gebe von dem besonderen Skulpturenpark. Das bemängelt auch Gisela Holstein. Sie berichtet: „Ich hatte Besuch aus Oberhausen und wollte ihm das neue Kunstobjekt zeigen. Wir sind alles abgelaufen, aber haben den Baum nicht gefunden. Es wäre schön, wenn die Stadt eine Karte herausgeben würde.“
Jedes Jahr entsteht eine neue Skulptur
Das Projekt „Kunst am Baum“ gibt es seit 1993. Seither entsteht in jedem Jahr eine neue Skulptur. Während die neuesten noch in ganzer Pracht zu sehen sind, sind andere bereits verwittert oder schon verschwunden.Bearbeitet werden Bäume, die sonst gefällt würden – und zwar an Ort und Stelle, in luftiger Höhe und mit schwerem Gerät. Einrücke davon vermitteln Bilder, die anhand von QR-Codes auf den Tafeln am Baum aufgerufen werden können.
Unvermittelt erscheint hinter einem Baum mit dichtem Laub eine weitere Skulptur – oder vielmehr zwei. Ein Baum teilt sich schon am Boden in zwei Stämme. Der eine wird an seinem oberen Ende ein Cowboy, der andere ein Indianer. Und das hat keineswegs etwas zu tun mit dem Kinderspiel, ebenso wenig mit dem Schlagerhit made in Gelsenkirchen. Nein. Die Entstehungsgeschichte der „Flussziege“ von Reinhard Osiander ist humorvoll und Tanja Sajko trägt sie nun vor. „Der Künstler hörte eine Geschichte, die ihn dazu inspirierte: Es treffen sich ein Indianer und ein Cowboy in der Wüste. Der Indianer hebt den Zeigefinger, der Cowboy zeigt daraufhin zwei Finger, den Zeige- und den Mittelfinger. Der Indianer zeigt mit den Händen ein Dreieck an und der Cowboy malt eine Schlangenlinie in die Luft. Dann gehen sie auseinander.“
Anekdoten über Kunst und interkulturelle Verständigung
Jetzt beginnt die Krux mit der interkulturellen Verständigung: Denn daheim hätten beide von der Begegnung berichtet. „Der Cowboy erzählt, ich habe einen Indianer getroffen, der ist böse gewesen. Er hat gesagt, wenn du nicht gehst, dann schieße ich. Ich habe gesagt, dann schieße ich zweimal. Er antwortete, dann gehe ich in mein Zelt. Und ich habe gesagt, dann schleich dich.“ Die Gruppe ahnt schon, die Pointe wird es in sich haben. So kommt es auch: „Der Indianer erzählt zu Hause, ich habe einen Cowboy getroffen. Ich habe gefragt, wie heißt du. Er hat geantwortet: Ziege. Ich habe gefragt: Bergziege? Er hat gesagt: nein, Flussziege.“
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