Gelsenkirchen. Als Quereinsteiger zum Briefzusteller: Die Deutsche Post bildet auch Flüchtlinge verstärkt aus. Im Tandem mit dem Ausbilder im Bezirk unterwegs.
Marcus Hecker arbeitet seit 33 Jahren bei der Deutschen Post, die letzten 29 davon als Zusteller in seinem Stammbezirk in Rotthausen. Derzeit ist er dort aber nicht allein auf seiner Runde unterwegs: Er hat nun Hmdan Thaer an seiner Seite. Der 30-Jährige ist 2011 vor den Kriegswirren in seinem Heimatland Syrien geflohen. Jetzt will er als so genannter Quereinsteiger ebenfalls Briefzusteller werden. Und während dieses Crash-Kurses sind Hecker und Thaer quasi als Tandem unterwegs: einer lehrt, einer lernt.
Die Flucht führte Hmdan Thaer über die Türkei und Serbien nach Deutschland
„Mein Vater Wilhelm war hier schon Zusteller. Da bin ich ein Stück weit in seine Fußstapfen getreten“, erzählt Hecker. 1988 wurde er sogar noch als Beamter eingestellt – damals Normalfall, heute ein Ding der Unmöglichkeit. Seit Ende der 90er Jahre kümmerte sich Hecker immer auch gern um die Betreuung und Ausbildung des Nachwuchses. Dazu gehören zum einen die derzeit 17 regulären Auszubildenden bei der Post in Gelsenkirchen, aber auch besagte Quereinsteiger.
Ein solcher ist auch Hmdan Thaer. Er stammt aus der kleineren Stadt Ar-Raqqa, die in der Nähe des bekannteren Aleppo liegt. Dort absolvierte er erst eine Ausbildung zum Hotelkaufmann und begann danach ein Jura-Studium. Doch der Bürgerkrieg sorgte überall für Angst und Schrecken. Als 20-Jähriger machte er sich schließlich 2011 auf den Weg, verließ die geliebte Heimat. Nach Zwischenaufenthalten in der Türkei, Griechenland und Serbien erreichte er fünf Jahre später dann Deutschland. Hier lebt er nun in der Nachbarstadt Bochum, genauer gesagt: in Höntrop.
Beim Arbeiten zieht es ihn hinaus an die frische Luft
Die deutsche Sprache hat er fleißig gelernt. Inzwischen kann sich Thaer ordentlich verständigen. „Ich mag das Arbeitsklima, mir gefällt das selbstständige Arbeiten und ich bin gern draußen“, benennt der Syrer die Gründe, warum er sich für den Crash-Kurs zum Briefzusteller entschieden hat. Zuvor hatte er sich als Lagerarbeiter und Mitarbeiter im Sicherheitsdienst versucht. Doch das Arbeiten an der frischen Luft gefalle ihm deutlich besser, erzählt er.
In den ersten Tagen beobachtete Thaer, was Hecker zu erledigen hatte – etwa, wenn er Einschreiben oder Warenpost übergab. Wie wird was quittiert? Was muss persönlich abgegeben werden? Wo ist ein Haus mit einer scheinbar versteckten Hausnummer zu finden? Antworten auf Fragen wie diese erhielt der Syrer unterwegs durch Erklärungen und Beobachten. Doch schon bald schmiss Hecker seinen Schützling ins kalte Wasser und überließ ihm einzelne Straßenzüge seines Bezirks. „Hmdan hat sich sehr schnell freigeschwommen“, so das Lob des Ausbilders.
In dem Bezirk in Rotthausen versorgt das Duo täglich über 1500 Haushalte mit Post
Auch die Arbeit im Innendienst, die jeden Morgen etwa zwei Stunden in Anspruch nimmt, bekam der Flüchtling natürlich gezeigt. Das geschieht im Zustellstützpunkt an der Husemannstraße. Und von dort bricht das Duo dann mit vollbepackten Fahrrädern auf in Richtung Rotthausen. Los geht’s mit dem ersten Haus an der Mozartstraße. Und die Runde endet dann nach mehreren Stunden, wenn alle Transportboxen geleert und auch der letzte Brief verteilt ist, an der Schemannstraße.
„Wir versorgen hier im Bezirks über 1500 Haushalte“, erzählt Hecker. Wenn er die vier Behälter seines Elektro-Bikes voll gepackt hat, hat er über 1200 Sendungen an Bord. „Da kommen schnell 80 Kilo an Gewicht zusammen“, so Hecker. Aber das E-Bike mache die Belastung erträglich. Er ist froh, seine jahrzehntelangen Erfahrungen als Ausbilder weitergeben zu können. Und das macht noch mehr Spaß, wenn es auf fruchtbaren Boden fällt wie bei Hmdan Thaer. Auch der ist glücklich: „Zusteller bei der Post: Das ist meine beste Chance“, sagt der Syrer und strahlt.