Gelsenkirchen. Ein Paar aus Gelsenkirchen ist mit einem DLRG-Zug ins überflutete Katastrophengebiet geeilt. Über Ängste, Mut und auch jede Menge Durcheinander.
Wasser wohin das Auge reicht, versunkene Straßen, Autos, Häuser - Fluten, die Erdschollen metertief ausgefressen haben – als langjährige Retter haben Jana und Corvin Fiedrich schon so manchen Einsatz erlebt. „Das aber geht über jede Vorstellungskraft hinaus“, sagen der Truppführer (32) und die Bootsführerin (29) kurz nach ihrer Rückkehr.
Gelsenkirchener Retter: Wasser hat mit Lkw wie mit Spielzeug gespielt
Die Verwaltungsangestellte und der Koch fanden die TV-Bilder schon erschreckend, die Zerstörung aus der Nähe zu sehen, treibt ihnen auch noch wenige Tage nach ihrem Einsatz „eine Gänsehaut“ über den Körper. Das Wasser hat mit riesigen 40-Tonnern gespielt, als ob es Spielzeug-Lkw wären.“
Einen Eindruck über das Ausmaß der Zerstörungen liefert diese Fotostrecke.
Jana und Corvin Fiedrich waren am vergangenen Donnerstag dem Hilferuf der Bezirksregierung Köln gefolgt und mit einem 54 Retter zählenden Zug der DLRG nach Eschweiler geeilt. Eingeteilt waren sie für die Evakuierung eines überfluteten Straßenzuges.
Erster Einsatz für Gelsenkirchener Helfer in Eschweiler: Senior und seine Enkel retten
„Das Haus, in dem ein alter Herr mit seinen beiden Enkelkindern bedrohlich festsaß, war allein mit einem schweren Traktor zu erreichen“, erzählen sie.
Der Bauer, der den Traktor fuhr, hielt auch gleich die erste Überraschung für sie parat. Obwohl er einen kompletten Ernteausfall zu beklagen hatte und seine Existenz gefährdet ist, setzte er sich unverzagt hinter das Lenkrad. „Er und auch andere Landwirte in der Region haben ihr eigenes Schicksal hintangestellt, um anderen Menschen in Not beizustehen“, erzählen Jana und Corvin Fiedrich. „Beeindruckend so viel Kraft, Engagement und Lebensmut.“
Schock: Flutopfer hatte mehr Angst um Hab und Gut als um Leib und Leben
Am Haus angekommen dann die nächste Überraschung. „Der alte Herr wollte partout sein Heim nicht verlassen - aus Angst um seinen Besitz“, berichtet das Gelsenkirchener Paar. Selbst die Enkelkinder hatte das Flutopfer mit Blick auf das wenige Hab und Gut, w as ihm verblieben war, ausgeblendet. Die Retter zogen unverrichteter Dinge wieder ab.
Nächster Einsatzort war Weilerswist, oder sollte es sein, besser gesagt. Denn dorthin „gab es kein Durchkommen“, so die 29-Jährige und der 32-Jährige weiter. Ein breiter Strom war durch den Regen zur Blockade geworden, die Strömung war so stark, dass der Tross mit fortgerissen worden wäre.
Selbst erprobte Strömungsschwimmer wagten sich nicht in die schlammigen Fluten. Wer weiß was ihnen im Wasser entgegengekommen wäre. Der kleine Bach, im Normalfall einen halben Meter breit, war zu einem reißenden Fluss geworden, der jetzt mit 70 Kubikmetern pro Minute abwärts donnerte. In ruhigen Zeiten plätschert das Wasser mit 1,5 Kubikmeter pro Stunde vor sich hin.
Unvollständige Befehlsketten und gestörte Kommunikation erschweren Einsatz
Pionierarbeit galt es am Freitag zu verrichten, nachdem der DLRG-Zug fünf Stunden wartend in Bereitstellung verbracht hat. Ein Umstand, den die beiden Retter auf das anfängliche Chaos nach einer solch weitreichenden Katastrophe zurückführen.
Auch interessant
Bis alle Befehlsketten und Hierarchien übergangslos und stringent funktionieren, vergeht eben einige Zeit. Betroffen von den Regenfluten waren ja zig Orte in NRW und in Deutschland. Außerdem, so die beiden, habe es so eine große Schadenslage bislang noch nie gegeben. „Man kann vieles theoretisch durchspielen, die Realität ist aber oft anders. Da muss man improvisieren.“
Bei Erkundungsfahrten sollte die Lage in zwei kleinen Dörfern nahe Erftstadt geklärt werden. „Bis dorthin zu kommen, hat allerdings sehr lange gedauert“, sagt das Paar. Zudem war die Kommunikation stark gestört, selbst der Funk war wegen tausendfachen Zugriffs überlastet.
„Genaue Positions- und Ortsangaben durchzugeben, war daher so gut wie unmöglich“, sagt Corvin Fiedrich. Ein wenig Frust schwingt dabei noch mit in der Stimme, verständlich, denn schließlich waren er und seine Kameradinnen und Kameraden ausgerückt, um zu helfen.
DLRG-Retter aus Gelsenkirchen haben große Solidarität und Dankbarkeit erlebt
Zum Glück hatte die Flut den Örtchen weniger übel mitgespielt wie den Nachbargemeinden. Das Wasser war ebenso schnell verschwunden wie es durch die Gassen getost ist. „Zwei Drittel der Siedlungen waren unbeschädigt, im Rest waren die Menschen schon dabei, die Untergeschosse zu entrümpeln“, erzählt Jana Fiedrich.
Beeindruckt hat die Gelsenkirchener indes die große Solidarität der Menschen. „Jeder hat mit angepackt, Freunde, Bekannte, Fremde, Jung und Alt, das war großartig zu sehen.“ Überwältigt ist das Paar immer noch von der Dankbarkeit, die ihnen und ihren Mitstreitern entgegenschlug. So hielt ein verdreckter und ausgelaugter Helfer in einem Garten inne, um schnell ein paar Würstchen für die DLRG-Retter zu grillen, damit sie Kraft tanken konnten.
„So viel Selbstlosigkeit hat uns tief berührt“, sagen Jana und Corvin Fiedrich. Aber auch sie rüsten sich erneut - für den nächsten Hilfseinsatz.
- Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Gelsenkirchen in unserem Newsblog
- Lesen Sie mehr Geschichten aus Gelsenkirchen
- Oder folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook