Gelsenkirchen. Seit fast zwei Jahren rollen E-Scooter durch Gelsenkirchen. Wie wird das Leihangebot angenommen und bewertet? Die Analyse.

Mit großen Versprechungen hat die Gelsenkirchener Stadtverwaltung die Kooperation mit dem E-Scooter-Leihanbieter Circ vorgestellt. Die Elektroroller seien eine Alternative zum Pkw sowie Fuß- und Radverkehr und würden es ermöglichen, „spontan Strecken innerhalb der Cities emissionsfrei und abseits der Hauptverkehrsstraßen zurückzulegen“, hieß es im September 2019. Die Roller waren vier Monate vorher auf dem deutschen Markt zugelassen worden. Doch wie fällt die Bewertung zwei Jahre später aus? Haben die Scooter ihre Versprechungen gehalten?

Die Episode Circ zumindest fand ein schnelles Ende. Nach fünf Monaten wurden sämtliche Roller des Anbieters in Gelsenkirchen eingesammelt und abgestellt. Circ wurde von dem Unternehmen Bird aufgekauft. Acht Monate später erst startete Bird mit einem neuen Leihangebot.

Seit März gibt es neben Bird zwei weitere Anbieter: Spin und Tier. Insgesamt stehen den Gelsenkirchenern 730 Leihroller zur Verfügung. 200 davon stellt Bird, 300 Spin, 230 Tier.

E-Tretroller in Gelsenkirchen: Anbieter ziehen ein positives Fazit

Während Bird auf eine Anfrage dieser Redaktion nicht geantwortet hat, berichtet Spin von „übertroffenen Erwartungen“. Seit März habe der Anbieter 15.000 Fahrten registriert, sagt eine Firmensprecherin. Die Kunden hätten dabei rund 67.000 Kilometer, verteilt über das gesamte Stadtgebiet, zurückgelegt.

E-Scooter leihen: Diese Regeln gelten

Jede Person ab 14 Jahren darf einen E-Tretroller fahren – jedoch ist das Ausleihen (die Geschäftsfähigkeit) erst ab 18 Jahren möglich. Anbieter können in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen außerdem bestimmte Vorgaben machen. Zum Beispiel, dass die Nutzerin bzw. der Nutzer volljährig sein muss. Das Ausleihen eines E-Tretrollers wird über die App des jeweiligen Anbieters abgewickelt.

Die Ausleihkosten für die Roller betragen laut der Stadt Gelsenkirchen zurzeit 1 Euro Entsperr-Gebühr plus 19 Cent pro gefahrener Minute bei Tier, 25 Cent pro gefahrener Minute bei Spin und 20 Cent pro gefahrener Minute bei Bird.

Für das Fahren gelten dieselben Alkoholgrenzwerte wie für Autofahrer. Wenn jemand mit 0,5 bis 1,09 Promille ohne Auffälligkeit fahren sollte, wäre das eine Ordnungswidrigkeit, wenn jemand mit 0,3 Promille mit Ausfallerscheinungen fahren sollte oder mit mehr als 1,1 Promille, wäre das eine Straftat. Die festgelegte Höchstgeschwindigkeit liegt bei 20 km/h.

„Die Fahrtzeiten wurden während Corona länger. Es fahren jüngere Personen mit den Scootern, aber die Fahrzeuge werden von allen Bevölkerungsgruppen ausgeliehen“, so die Sprecherin. Trotz der guten Zahlen beabsichtige Spin nicht, das Angebot zu erhöhen: „Wir sind momentan gut aufgestellt und wollen nicht wahllos Scooter bereitstellen, sondern bedarfsgerecht handeln.“

Anderes hört man von dem Anbieter Tier, der ebenfalls „sehr zufrieden“ über den Verlauf der ersten Monate sei. Täglich lade Tier die Batterien in einem eigenen Depot in Gelsenkirchen auf. Mitarbeiter bringen diese zu den Fahrzeugen – bald könnten neue hinzukommen. Tier plane nämlich, die eigene E-Scooter-Flotte auf 350 Fahrzeuge zu vergrößern. „Gerade jetzt im Sommer sehen wir, dass in Gelsenkirchen der Bedarf an individuellen Mobilitätsoptionen weiter steigt“, heißt es von dem Unternehmen. das mit der Bogestra kooperiert.

Aus Sicht der Bogestra verlaufe die Zusammenarbeit „gut“. Kunden- und Abonnentenzahlen seien für den Nahverkehrsanbieter gleichsam „immer steigerungsfähig“. Weiterhin werde es besondere Aktionen für Bogestra-Kunden bei Tier geben.

Umweltschädlich, unpraktisch, unsicher? So steht es um die E-Scooter in Gelsenkirchen

Im September 2019 wurde in Gelsenkirchen die Kooperation mit dem Roller-Verleiher Circ vorgestellt. Sie endete bereits nach fünf Monaten, Circ verschwand vom Markt.
Im September 2019 wurde in Gelsenkirchen die Kooperation mit dem Roller-Verleiher Circ vorgestellt. Sie endete bereits nach fünf Monaten, Circ verschwand vom Markt. © Funke Foto Services | Lutz von Staegmann

Das Geschäft scheint sich für die Leih-Anbieter also zu lohnen. Im Juni 2019, als die elektrischen Tretroller ihre Zulassung für den deutschen Markt erhalten hatten, war das nicht unbedingt zu erwarten. Öffentlich wurde über den Nutzen der elektrischen Fahrzeuge debattiert. Die Akkus seien nicht langlebig, die Scooter deshalb nicht die versprochene nachhaltige Alternative für den Mobilitätssektor, lautete ein Kritikpunkt. Der wird von den Anbietern nicht geteilt.

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Die Roller benötigen kaum Platz zum Parken, dadurch entstehen freie Stellen im Stadtgebiet, argumentiert Tier. Mikromobilität, ein Bereich, zu dem die Scooterunternehmen zählen, sei eine Wachstumsbranche. Tretroller könnten die Abhängigkeit vom privaten Pkw gerade auf Kurzstrecken reduzieren, so der Verleiher.

Dass Scooter eine deutlich bessere Ökobilanz als Autos haben können, bestätigt das Umweltbundesamt. Gegenüber dem Fahrrad, mit dem sich Strecken ebenso schnell zurücklegen lassen, seien E-Scooter jedoch „die deutlich umweltschädliche Variante und daher keine gute Alternative“.

Rollerfunde im Kölner Rhein: Bislang keine vergleichbaren Fälle in Gelsenkirchen

Die Debatte um die Roller ging über den Umweltaspekt hinaus. Manch einer befürchtete, dass die Fahrzeuge unachtsam liegengelassen werden und die Innenstädte regelrecht überschwemmen könnten. In einigen Stäten ist das eingetreten. Jüngst wurden über 500 Roller im Kölner Rhein gefunden – womöglich inklusive der Akkus, aus denen Chemikalien auslaufen könnten.

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Solche Probleme scheint es in Gelsenkirchen nicht zu geben. Tier berichtet zwar von vereinzelten Fällen, bei denen Fahrzeuge beschädigt oder gestohlen wurden, laut der Stadtverwaltung mussten aber keine Tretroller in „nicht gestatteten Orten“ aufgesammelt werden. Dazu würden Gewässer zählen.

Die Stadt hat die Anbieter zudem dazu verpflichtet, verkehrsbehindernde oder verkehrsgefährdende Roller innerhalb von sechs Stunden einzusammeln. Geschieht dies nicht, könne die Kommune den Anbietern entsprechende Maßnahmen in Rechnung stellen.

Stadt arbeitet gemeinsam mit den Anbietern an einer Austauschplattform

Ein debattierter Punkt bleibt offen: die Sicherheit. Die Kunden müssen mit den Rollern auf Radwegen fahren. Sind diese nicht vorhanden, müssen sie auf normale Straßen ausweichen. Ist auf auf den Fahrbahnen das Chaos ausgebrochen, wie es teilweise befürchtet wurde?

Vereinzelt seien Kunden rücksichtslos gefahren, erklärt Tier. Die Situation habe sich nach „anfänglichen Schwierigkeiten in den letzten Wochen sehr gebessert“. Genaue Zahlen zu Unfällen mit Beteiligung von E-Scootern liegen derweil keine vor. Diese werden nicht separat erfasst, so die Stadt.

Es bedarf aus Sicht der Gelsenkirchener Verwaltung einer umfangreichen Steuerung, damit die Leihroller keine Verkehrsbehinderung darstellen. Die Stadt arbeite gemeinsam mit den Anbietern an einer Plattform zum Datenaustausch. Diese Plattform soll es möglich machen, das Nutzverhalten und die Flottensteuerung für die Verkehrsmodellierung nutzen zu können. So ließen sich zum Beispiel Parkverbotszonen definieren. Die Plattform werde schon bald zur Verfügung stehen.