Gelsenkirchen. Was in Familien eine große Aufgabe ist, ist für die Erzieher eine echte Herausforderung. Sie helfen bis zu zehn Kindern gleichzeitig beim Lernen.
Michael Hüning betreut zehn Kinder beim Homeschooling. Das Spektrum reicht von der ersten Klasse bis zur zehnten und zum Berufskolleg. Eine ziemliche Herausforderung, die der Erzieher und Leiter der Gruppe „Regenbogen“ im Kinder- und Jugendhaus St. Elisabeth da meistert – seit gut einem Jahr.
Dabei wird der Erzieher natürlich auch an seine eigene Schulzeit erinnert, an die einstigen Schwächen und Stärken. „Mathe ist natürlich ein gutes Beispiel. Da gibt es Bereiche, wo ich nicht weiter helfen kann.“ Auch Fremdsprachen, die man einst selbst nicht in der Schule lernte, bergen Herausforderungen, erzählt er. „Aber die Englischvokabeln, die sind aufgefrischt“, sagt er und lacht.
Die Tagesstruktur erhalten
Jetzt, wo die Erzieher in weiten Teilen die Schulbildung ihrer Schützlinge betreuen, arbeiten sie nach einem eigenen Konzept. „Wir wollen die Tagesstruktur erhalten und beginnen daher um acht Uhr mit dem Lernen.“ Die größeren Kinder bleiben dafür oftmals in ihren Zimmern, die anderen in den Wohnbereichen der Gruppen. „Anfangs waren wir schlecht aufgestellt“, erzählt Paul Rüther, der Heimleiter. „Jede Gruppe hatte einen Kindercomputer. Deswegen mussten viele mit ihren Smartphones arbeiten.“ Mittlerweile jedoch sei man hier bestens ausgestattet. Und es laufe recht gut, berichten beide.
Natürlich fehlten den Kindern und Jugendlichen ihre Schulfreunde. Hier aber werde die besondere Lebenssituation der jungen Menschen auch mal zu einem kleinen Vorteil. In acht Gruppen leben im Kinder- und Jugendhaus St. Elisabeth insgesamt 70 Kinder auf dem Campus im Hinterland der Cranger Straße. Weil sie alle als eine „Infektionsgemeinschaft“ geführt werden, dürfen sie untereinander Kontakte haben, gemeinsam Zeit verbringen im großzügigen Außengelände, einander in ihren Zimmern besuchen. „Allerdings sind wir hier 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche zusammen“, deutet Michael Hüning an, es könne auch mal zu viel an Gemeinschaft sein. Dann aber fände sich für jeden ein stiller Rückzugsort. „Vereinsamung ist hier auf jeden Fall nicht das Problem.“
Bessere Noten dank Homeschooling
Ein Jahr Homeschooling, mal mehr, mal weniger, das habe für Erzieher und Schüler auch Überraschungen mit sich gebracht. Gute. „Es gibt Kinder und Jugendliche die sagen, Homeschooling ist das Beste. Endlich können sie sich richtig auf die Arbeit konzentrieren“, so Michael Hüning. Und das spiegele sich in den Noten wieder.
Davon kann auch Gwendolin berichten. „Ich habe jetzt mehr Zeit, meine Aufgaben zu erledigen. Meine Noten haben sich extrem verbessert. In den meisten Fächern habe ich eine Eins“, ist die 14-Jährige glücklich. Einziger Wermutstropfen: „Mein Lieblingsfach Kunst wird online nicht angeboten.“ Ihr Tagesablauf habe sich durch die neue Art des Lernens schon sehr verändert. „Wir müssen um sieben Uhr aufstehen und um acht Uhr sind wir im Tagesraum zum Lernen. Dann arbeiten wir bis elf Uhr.“ Also wesentlich kürzer, als es in der Schule der Fall wäre. Wenn sie mehr Zeit brauche, mache sie auch freiwillig länger, berichtet die Neuntklässlerin. Aber es wird schon deutlich, hier kann sich nur auf das Wesentliche konzentriert werden.
Ein großes Nachhilfe-Netzwerk
Allerdings – es gibt ganz besondere neue Lernmöglichkeiten hier. Die Kinder und Jugendlichen arbeiten miteinander. „Ich helfe vielen in Englisch, weil ich das sehr gut kann“, plaudert Gwendolin aus dem Alltag des Kinder- und Jugendhauses St. Elisabeth. „Beim Prozentrechnen kann ich auch anderen helfen, in anderen Bereichen der Mathematik und in Deutsch bekomme ich Hilfe.“
Mit den Wochen und Monaten haben die Schüler ein richtiges Netzwerk gebildet, wissen, wer was kann und wem sie ihrerseits helfen können. „Wir erleben sehr viel Unterstützung unserer Bewohner untereinander“, ist Michael Hüning begeistert. Sicher, hier und da habe es das zuvor auch schon gegeben. „Aber so richtig ist das erst durch Corona entstanden.“ Ob man dieses tolle Konzept über Corona hinweg retten könne? Da wollen sich alle Beteiligten nicht festlegen – aber sich sehr dafür einsetzen.