Gelsenkirchen.

Der Wind pfeift einem um die Nase, lässt die Haare zu Berge stehen. Die Strahlen der Sonne kommen gegen die steife Brise kaum an. Der Duft von Wasser liegt in der Luft an diesem Ort, an dem seine Gewalten körperlich spürbar sind und Pegelstände weitaus schneller variieren als an der See bei Ebbe und Flut: Ein Besuch der Schleuse Gelsenkirchen ist ein kleiner Abenteuerurlaub vor der eigenen Haustür.

Zahlreiche Radfahrer sind hier unterwegs. Dennoch ist der Schauplatz vielen Gelsenkirchenern recht unbekannt. Man erreicht ihn über die Uferstraße, wenn man den Hinweisschildern zur „Emscherkunst“ folgt. Dann sieht man bald den Schleusenturm, von dem aus die Schleusenwärter die Übersicht über das Geschehen haben und die beiden Schleusenkammern bedienen.

Der Herr der Schleusen: Norbert Hüls ist Schleusenwärter in Gelsenkirchen – und das schon seit 1993.
Der Herr der Schleusen: Norbert Hüls ist Schleusenwärter in Gelsenkirchen – und das schon seit 1993. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Einer von ihnen ist Norbert Hüls von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Ins Berufsleben startet er einst als Binnenschiffer, fährt ganze neunzehn Jahre lang Güter über die Wasserstraßen der Republik. So sehr er den Beruf liebt, so wenig familienfreundlich sei dieser: „Wenn Sie drei, vier Wochen unterwegs sind, macht die Freundin das nicht mit.“ Als Schleusenwärter bleibt er seit 1993 seinem Element treu – mit geregelten Arbeitszeiten.

So lang ist die Gelsenkirchener Schleusenkammer

Auf dem großen Hof gewährt der Schicht- und Betriebsleiter der Gelsenkirchener Schleuse ungewöhnliche Einblicke. Gerade werde im Pumpenhaus gearbeitet. Da sei es möglich, mal einen Blick zu riskieren. Hier beeindrucken riesige Pumpen mit beachtlicher Kraft. „Die haben eine Leistung von fünf Kubik pro Sekunde.“ Im normalen Betrieb werden sie jedoch gar nicht gebraucht. Sie kommen erst zum Einsatz, wenn der Wasserstand nicht ausreichend hoch ist. Dann kann mithilfe mehrerer Pumpen an verschiedenen Orten Wasser aus der Lippe oder der Ruhr in beide Richtungen gepumpt werden. „Das Prinzip kommt auch im Sommer zum Einsatz, wenn die Lippe nicht genügend Wasser führt und droht, umzukippen.“

Weiter geht es. Nur ein paar Schritte, dann steht man quasi auf dem Kanal. Rechts blickt man in die erste Schleusenkammer. Die wirkt schon groß. Ist aber noch größer: In der Breite misst sie ganze zwölf Meter, in der Länge 190 Meter. Hier können Einzelfahrzeuge bis 135 Meter geschleust werden und Schubverbände von 185 Metern. Gerade wird an den Schleusentoren gearbeitet. Das erlaubt eine kleine Erklärstunde: Einfach gesagt könne man sich den Kanal wie eine Treppe vorstellen, sagt Norbert Hüls. Diese fahren die Schiffe hoch oder herunter. Die jeweiligen Schleusen markieren die Stufen – mitsamt Lift.

Nicht länger als ein gutes Bier

Stelle man sich ans Eck der Schleusenkammer, könne man auf die Stufe blicken. Oder besser auf das massive Schleusentor mit seinem Gewicht von rund 35 Tonnen. In der Ferne kündigt sich ein Schiff an. Jetzt geht es an die Vorbereitung zur Einfahrt. Noch blickt man in eine bedrohliche Tiefe. Ein mulmiges Gefühl. Rund vier Meter tief sei das Wasser dort unten dennoch, erklärt der Fachmann. Die Schleusentore haben sich bereits geschlossen. Nun wird die Kammer geflutet. Um 6,20 Meter muss der Wasserstand steigen – in sieben Minuten. Länger als ein gutes Bier braucht es also nicht.

Einfahrt in die Schleusenkammer: Die „Pandur“ aus Polen passiert die Gelsenkirchener Schleuse.
Einfahrt in die Schleusenkammer: Die „Pandur“ aus Polen passiert die Gelsenkirchener Schleuse. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Das Faszinierende: Man hört es rauschen, sieht den Zufluss aber nicht. Er geschieht unter Wasser über „kleine“ Kanäle, wie Norbert Hüls sagt. Die „Kleinen“ sind aber immer noch zwei mal zwei Meter groß. Darin strömt das Wasser von der oberen Stufe in die Kammer. Bald ist der gewollte Wasserstand erreicht. Die Stufe ist quasi verschoben worden vom einen Ende der Schleusenkammer zum anderen. Die Mauer fährt herunter, die Einfahrt ist frei.

Internationale Nomaden sind auf dem Kanal unterwegs

„Das ist die Pandur“, sagt Norbert Hüls. Schnell wird deutlich, man kennt sich. Kein Wunder, die meisten Schiffer kommen auf ihren Fahrten häufiger vorbei. Die „Pandur“ fährt unter polnischer Flagge. Die Schifffahrt sei eine internationale Sache, erzählt der 62-Jährige. So wie die Wasserwege. Von diesem Punkt aus könne man bis zum Schwarzen Meer fahren, und in die andere Richtung bis zum Mittelmeer.

Heimaturlaub in Gelsenkirchen

Viele Menschen sehnen sich in Zeiten der Pandemie nach Urlaub. Gerade jetzt, wo viele Feiertage in normalen Jahren Anlass bieten zu einem Kurzurlaub.

Weil das coronabedingt nicht geht, bleibt nur der Heimaturlaub. Die WAZ Gelsenkirchen stellt in der gleichnamigen Serie kleine Alternativen vor.

Ein lautes Tosen und Rauschen macht deutlich, jetzt muss man schnell auf die andere Seite der Brücke eilen. Hier kann man ein Wildwasser erleben, das seinesgleichen sucht. Die Schleusenkammer entleert sich unter Wasser. Das braucht acht Minuten und ist ein beeindruckendes Schauspiel. Man kann die Augen gar nicht überall da haben, wo man es will. Auf der einen Seite die Wassermassen, auf der anderen sinkt das Schiff zusehends. Bald schon fährt es wieder weiter, unter den Füßen durch. Jetzt schaut man von oben auf den Arbeits- und Lebensraum dieser Nomaden, die so wichtig sind für den internationalen Güterverkehr.

Spannend ist dieses technische Wunderwerk und lehrreich, kurzweilig ist es, hier seine Zeit zu verbringen. Seit über einhundert Jahren fahren auf diesem Kanal Schiffe durchs Revier, werden sie hier geschleust, wenn auch heute in moderneren Kammern. Hier kann man Schiffe beobachten, Technik bewundern, gefühlt ein bisschen Seeluft schnuppern. Und das Beste daran: Wenn ein Schiff durch ist, steht mindestens ein weiteres schon bereit und wartet auf seine Schleusung. Das Schauspiel wiederholt sich.