Die Corona-Pandemie lässt sich nur gemeinsam besiegen: ein bekannter Slogan. Neue Freiheiten für Geimpfte in NRW verhöhnen dieses Motto.

Am Montag tritt das ein, was viele in meinem Freundeskreis bereits seit langem befürchtet hatten: Geimpfte und von einer Coronainfektion Genesene erhalten in Nordrhein-Westfalen Freiheiten zurück. Für sie entfällt die Testpflicht, sie dürfen ohne Quarantäne aus Corona-Risikogebieten nach NRW einreisen. Unter der neuen Regelung leiden, wie so häufig, die Jungen – und der Solidaritätsgedanke, auf dem die Pandemiebekämpfung bislang fußte.

Monatelang war das Motto der Politik, dass sich das Coronavirus nur gemeinsam besiegen lasse. Ein Motto, das Sinn ergibt und von vielen unterstützt wird. Ich kenne viele in meinem Alter, die sich an die Regeln halten, kaum jemanden treffen und neu kennenlernen können. Gerade für diejenigen, die in eine neue Stadt gezogen sind oder alleine zuhause leben, war und ist das eine Herausforderung.

Freiheitsrechte sollten die Normalität sein – nur ist in Pandemiezeiten wenig normal

Mein Freundeskreis hat die Maßnahmen gerne mitgetragen – aus Solidarität gefährdeteren und älteren Gruppen gegenüber. Dass Geimpfte mehr Freiheiten bekommen, führt das Prinzip der Solidarität ad absurdum. Denn Junge müssen weiterhin große Einschränkungen auf sich nehmen - einfach weil sie jung sind. Die Akzeptanz der Maßnahmen leidet darunter.

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Natürlich, es handelt sich um Freiheitsrechte, die am Montag zurückgegeben werden. Aber eine globale Pandemie stellt so ziemlich alle Gesetzesmäßigkeiten auf den Kopf. Und steht nicht in Artikel drei des Grundgesetzes, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind? In NRW sind sie das ab Montag nicht mehr.

Spinnt man die neue Regelung weiter, stellt sich die Frage, was in den nächsten Wochen passiert. Tritt irgendwann vielleicht sogar der – bewusst – überspitzt formulierte Fall ein, dass Ältere verreisen dürfen und Jüngere weiter zuhause verharren müssen? Ein festes Datum, an dem die Priorisierung aufgehoben wird, gibt es eben nicht. Dabei würden sich viele Junge lieber gestern als heute impfen lassen.

Neue Regelung: Nur Wahlkampftaktik von Armin Laschet?

Ich blicke gespannt auf die Bundestagswahl im Herbst. Die CDU stürzt in Wahlprognosen regelrecht ab. Ist der Vorstoß von NRW-Ministerpräsident und Unionskandidat Armin Laschet vielleicht ein Versuch, auf Stimmenfang zu gehen? Ein politischer Schachzug, um die eigenen Wählergruppen bei Laune zu halten? Fakt ist: Laschet verliert jetzt Sympathiepunkte bei jungen Wählern, die er dringender denn je benötigt.

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Dem Kanzlerkandidaten sei durch die Brille eines 22-Jährigen gesagt: Das so wichtige Prinzip der Solidarität droht zu einer leeren Worthülse zu verkommen. Man hätte mit dem Freiheitsvorstoß warten müssen bis echte Chancengleichheit herrscht.

Sinan Sat ist anderer Meinung

Lesen Sie hier die Gegenmeinung von WAZ-Redakteur Sinan Sat: „Die Kritik an der Ungleichbehandlung von Geimpften und Genesenen ist nur auf den ersten Blick verständlich. Warum die neue Regel sinnvoll und deshalb richtig ist.