Schüler müssen in Gelsenkirchen wegen hoher Inzidenz in den Distanzunterricht. Ministerium entscheidet in Sachen Kitas gegen Willen der Stadt.

Die Kindergärten in Gelsenkirchen sollen weiterhin geöffnet bleiben. Das hat die Stadt am Freitag widerwillig erklärt: Während die Schulen in den Distanzunterricht gehen, weil die Inzidenz den Wert von 200 bereits seit Donnerstag überschreitet, sei die Frage von Kita-Öffnungen nicht an diesen Wert geknüpft, hatte das Familienministerium gegenüber der WAZ erklärt.

„Die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown haben gezeigt, welch massiven Einfluss Beschränkungen in der Kita für Kinder haben. Im Gegensatz zum vergangenen Frühjahr gibt es daher für die Kindertagesbetreuung kein Betretungsverbot und damit einhergehend auch keine Notbetreuung“, erklärte das Familienministerium.

OB Welge appelliert: Kontakte deutlich reduzieren

Unter welchen Belastungen Familien mit Kindern leiden, hatte gerade auch erst eine dreifache Mutter aus Gelsenkirchen im Gespräch mit unserer Redaktion eindrücklich beschrieben. „Es reicht, wir Corona-Eltern können nicht mehr! Schaffen Sie Lösungen, die uns Familien wieder ein Leben ermöglichen“, richtete Nadine Jacobstroer einen flammenden Appell an die zuständigen Ministerien.

Zumindest den Eltern von Kindergartenkindern soll diese – ohnehin schon um zehn Stunden pro Woche reduzierte – Normalität bewahrt bleiben. Das allerdings gegen den Willen der Stadt, wie Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) am Freitagnachmittag überraschenderweise erklärte. „Im Sinne eines Gleichklangs mit den Schulen und der Reduzierung der Kontakte hätten wir das Herunterfahren der Kita-Betreuung auf die Notbetreuung für richtig gehalten“, äußerte Welge ihren Unmut.

Über die Frage, ob diese Entscheidung im Sinne der Pandemiebekämpfung vertretbar ist oder ob geöffnete Kitas ein zu großes Risiko darstellen, streiten sich Experten seit der Verbreitung der britischen Mutante. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, erklärte am Donnerstag: „Kinder können sich genauso leicht mit dem Virus anstecken wie Erwachsene, nur – zum Glück – werden sie nicht in demselben Maße und in der Häufigkeit krank, aber Kinder können auch – und tun dies auch – andere Menschen anstecken.“

Prof. Ulf Dittmer, Direktor der Klinik für Virologie am Essener Universitätsklinikum hingegen stützt im Gespräch mit der WAZ den Hinweis des Essener Gesundheitsdezernenten, dass unter den rund 20.000 Kita-Kindern in Essen nur vereinzelt Infektionen festzustellen sind. Für die letzte vollständige Kalenderwoche vom 6. April bis 12. April hatte die Stadt Essen 13 Kinder im Alter zwischen null und zwei Jahren sowie sieben Kinder zwischen drei und fünf Jahren als positiv registriert. Kita-Kinder würden das Virus also nicht in ihr Zuhause bringen, sondern würden ganz im Gegenteil zu Hause angesteckt, jedoch ohne das Virus dann weiterzugeben. Kitas stellten folglich eine Art Sackgasse für das Virus dar.

In Gelsenkirchen wurden nach Angaben der Stadt seit Ende Januar 63 der etwa 6000 sich tatsächlich in der Betreuung befindenden Kinder höchstwahrscheinlich in der Kita angesteckt. Ein Beispiel aus Köln deutet ebenfalls daraufhin, dass Kitas keine Infektionsherde sind: Bei 5000 Testungen an Kölner Kita-Kindern mit einem sogenannten „Lolli-Test“ fanden sich nur sechs Infizierte.

„Eine hundertprozentige Sicherheit ist bei dieser Pandemie nicht zu haben“, sagt Dittmer dennoch. Es sei nicht völlig auszuschließen, dass in sehr seltenen Fällen auch einmal eine Infizierung eines Erwachsenen aus einer Kita heraus passiert. Sicherheitshalber hat auch die Stadt Gelsenkirchen deshalb schon mehrfach Kita-Gruppen geschlossen, wenn ein Kind oder Erzieher infiziert war.

OB Welge, die erstmals auch ihren Unmut über die Landesregierung zum Ausdruck brachte, appellierte nachdrücklich, dass alle Gelsenkirchener ihre Kontakte deutlich reduzieren mögen. „Wir wissen, dass das in einigen Gesellschaftskreisen noch immer viel zu viele Zusammenkünfte und in der Folge Ansteckungen gibt.“

Auch zur erwarteten Ausgangssperre äußerte sich die OB am Freitagnachmittag skeptisch und trug ihre verfassungsrechtlichen Bedenken vor. In der Zeit von 8 bis 22 Uhr werden Ordnungsamt und Polizei aber fortan dauerhaft in den Innenstädten, Parks und etwa am Hafen Bismarck präsent sein.