Gelsenkirchen. Die Groko verabschiedet mit FDP und Tierschutz hier! Gelsenkirchener Etat. Die AfD zeigt sich empört. Und ein PARTEI-Politiker gibt den Komiker.

Es gibt Premieren, die werden aus der Not geboren. Unter Corona-Bedingungen wurde Donnerstag vom Rat der Stadt der kommunale Haushalt 2021 verabschiedet. Die Summe ist riesig, der kommunale Spielraum allerdings sehr gering: Über 1000 Seiten stark war der Entwurf, über 1,1 Milliarden Euro Gesamtaufwendungen wurden beschlossen. Erstmals geschah das mit Abstand und Redebeiträgen von zwei Sprecherpulten aus, erstmals mit Erinnerung an Covid-Opfer und Dank an die zahllosen Helfer in der Pandemie, und erstmals auch mit Blick auf Etatposten, die der Kampf gegen Corona erfordert. Nach Jahren alleiniger SPD-Dominanz zeichnete – ebenso erstmals – eine GroKo aus Sozial- und Christdemokraten gemeinsam verantwortlich.

Das Ergebnis war entsprechen eindeutig: Mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und Tierschutz hier! wurde der Haushalt 2021 verabschiedet. Dagegen hielten: AfD, Grüne, Linke, WIN, Die Partei und der Auf-Vertreter.

Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin gibt die Richtung vor

„Die nächsten Stunden gehören der Demokratie. Ich freue mich auf ihre Haushaltsreden“ – Oberbürgermeisterin Karin Welge gab Donnerstag um kurz nach zehn Uhr die parlamentarische Richtung für einen weitgehend ruhigen Ablauf vor. Die Haushaltsverabschiedung ist Zeit der programmatischen Reden, der politischen Standpunkte, der Zukunftsplanung, auch der Abrechnung und diesmal auch wütender Auseinandersetzung rund um die AfD. Mit der Ruhe war es jedenfalls schnell vorbei.

SPD: „Zusammenhalt schafft Zukunft“

Lukas Günther   
Lukas Günther    © SPD

Die Rolle der AfD für das gesellschaftliche Klima und ihr Agieren im Rat kritisierten die Sozialdemokraten. Der SPD-Stadtverordnete Lukas Günther geißelte die Alternativen zu Beginn seiner Haushaltsrede als Klimaleugner und Corona-Verharmloser, als Faschisten. „Schäbig“, Pfui, unglaublich, „jetzt reicht es“, wurde er von rechts wütend unterbrochen. AfD-Vertreter distanzierten sich später in „persönlichen Erklärungen“ von den Vorwürfen, behielten sich rechtliche Schritte gegen Günther vor.

„Zusammenhalt schafft Zukunft“ ist das Thema der SPD, das Günther ausrollte und dabei die bekannten Schwerpunkte ansprach: Dazu zählen der Bildungscampus, der Bau weiterer Schulen, die Verbesserung von Sicherheit, Grünanlagen, Spielplätzen und Wohnumfeld. Zu den weiteren Punkten zählen die Investitionen in Umwelt und Naturentwicklung oder auch ein ökologischer Mobilitätsmix mit Optimierung des Rad- und des öffentlichen Nahverkehrs als Voraussetzung für eine auto-arme Innenstadt. Günther betonte: „Wir werden jede Chance ergreifen, die sich uns bietet, um unser Straßenbahnnetz auszubauen.“

CDU: „Wir agieren, statt nur zu meckern“

Julian Pfeifers
Julian Pfeifers © CDU

Für die CDU ging Fraktionsgeschäftsführer Julian Pfeifers, wie Günther einer der jungen Ratsvertreter, ans Mikro: Die CDU-Agenda im Haushalt setzt auf Stärkung des kommunalen Ordnungsdiensts, die Unterstützung des lokalen Einzelhandels und der Gastronomie durch das „Pro-City“-Gutscheinsystem. Realisieren will die CDU mit der SPD den Ausbau der E-Mobilität, das gemeinsame 1000-Bäume-Projekt oder Details wie die nötige Kompensation des Kulturcents aufgrund der Corona-Pandemie oder Trinkwasserbrunnen für alle Bezirke. „Wir nehmen Sorgen und Nöte wahr. Wir agieren, statt nur zu meckern. Und deshalb setzen wir Anliegen der Bürgerschaft im Jahr eins nach der Wahl auch direkt um“, betonte Pfeifers, ehe er mit den Grünen abrechnete. Diese versuchten, sich über „organisatorische Nickeligkeiten“ zu profilieren, ferner summiere sich ihr Antragsvolumen auf über 3 Millionen. Dabei wüssten sie ganz genau, dass diese Summe im Haushalt „dieser Stadt nicht dargestellt werden kann.“

AfD: „Gelsenkirchen leidet unter drei Grundproblemen“

Jan Preuß
Jan Preuß © AfD

Für die AfD analysierte Jan Preuß: Die Corona-Krise werde sich verheerend auf die städtischen Finanzen auswirken. Gelsenkirchen leide dabei vornehmlich unter drei Grundproblemen: schwache steuerliche Einnahmenseite, hohe Arbeitslosen- und Unterbeschäftigungsquote sowie hohe Armutsmigration und Zuwanderung bei gleichzeitig hohen Leistungen für diese Personengruppen. Preuß empfahl unter anderem Personal- und Versorgungskosten in Gelsenkirchen zu senken, alle freiwilligen Leistungen zu hinterfragen und Transferleistungen zu optimieren. Ein Haushalt werden zusammen mit der AfD nur funktionieren, so Preuß’ Botschaft an die Ratsmehrheit, „wenn sie ihre Blockadehaltung uns gegenüber beenden“. Was den Angesprochenen schwer fallen dürfte, wurden sie doch wenige Sekunden zuvor noch mit AfD-Kritik an „Multikultureller Realitätsverweigerung“, „Gender-Wahn“ und E-Mobilitäts-Phantasien eingedeckt.

Bündnis 90/Die Grünen: „Viele Groko-Anträge sind mutlos“

Peter Tertocha
Peter Tertocha © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Die Grünen versagten dem Haushalt die Zustimmung. Peter Tertocha machte das an inhaltlichen Gründen, vor allem aber auch am Ablauf der Beratung und einer GroKo-Entscheidung „auf den letzten Drücker“ fest. „Vor 14 Wochen wurde der Etat eingebracht. Die Groko konnte oder wollte keine öffentliche und inhaltliche Diskussion führen.“ Ernsthafte Beratungen seien wohl nicht gewollt, so hätten SPD und CDU ihre über 50 Prüfaufträge erst einen Tag vor der Beratung im Hauptausschuss am 21. Januar veröffentlicht. Viele der GroKo-Anträge seien zudem mutlos, vieles „ist nur eine Absichtserklärung oder eine Zielvereinbarung, oft nicht einmal mit einem zeitlichen Horizont“, kritisierte der Grüne Co-Fraktionssprecher, der genüsslich aufrechnete wo aus seiner Sicht SPD und CDU bei der Mobilität, der Hochschulentwicklung oder der Erweiterung des Straßenbahnnetzes grüne Ideen gekapert hätten.

FDP: „Wir müssen weg vom bundesweit belächelten #401“

Susanne Cichos
Susanne Cichos © Ralf Robert Hundt

Ratsfrau Susanne Cichos zitierte Hermann Hesse: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Der Zauber des Anfangs scheint ein wenig verflogen - die Sacharbeit steht im Vordergrund. Die digitale Verwaltung, den zeitnahen Einsatz einer Corona-Kontakt-Verfolgungs-App oder auch die Optimierung des Ratsinformationssystems wollen die Liberalen. Der Etat lasse nur zu, „vorsichtig an Stellschrauben zu drehen“, stellte Cichos fest. Eine dieser Stellschrauben wäre ein „Verwaltungslotse“, der aus dem „bestehendem Stellenpool“ zu rekrutieren sei, um Genehmigungsverfahren für Unternehmen zu beschleunigen. „Um eine neue Willkommenskultur in Gelsenkirchen zu implementieren“, braucht es laut Cichos „einen neuen Strukturwandel, weg vom bundesweit belächelten # 401“ mit Tourismus und Gastronomie als Wirtschaftsfaktoren, und mit Projekten, die Strahlkraft entwickeln könnten – wie zum Beispiel einer Seilbahn als Nord-Süd-Verbindung für die Stadt.

Die Linke: „Neuaufstellung der Stadtwerke ist nötig“

Martin Gatzemeier, Die LINKE
Martin Gatzemeier, Die LINKE © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Gelsenkirchen leide immer mehr unter seinem schlechtem Image. Arbeitssuchende und Menschen, die sich aktiv verändern wollen, schauten auf solche Rankings, stellte Martin Gatzemeier fest. Wirklich wichtig wären daher Investitionen in die Infrastruktur, in ÖPNV, in Radwege, in städtisches Grün. Bei den Stadtwerken, so die Linke, sei eine Neuaufstellung nötig, Bäder müssten eventuell ausgegliedert, die hohen Verluste des Zoos gemindert werden. Emschertainment als Gesellschaft ist für die Linke unstrittig, gleichwohl müsse man fragen, warum manche Areale wie beispielsweise der Nordsternpark mit dem Amphitheater nicht besser bespielt würden.

WIN, Tierschutz hier! und AUF

Der WIN-Vertreter verzichtete auf sein Rederecht und stimmte gegen den Etat. Kurz und knapp machte es auch „Tierschutz hier!“. Bei ihrem zentralen Thema, der Etablierung eines Tierschutzbeauftragten, sieht sich die Partei „gut aufgehoben“, entsprechend werde sie den Haushalt mittragen.

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Jan Specht, der als Ratsvertreter für AUF um ein paar Redeminuten mehr gerungen hatte, erinnerten die „Haushaltsberatung und das Vorgehen der GroKo an das Chaos in Bund und Land im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Dass zumindest AUF-Anregungen wie die organisatorische Verbesserung der Ausländerbehörde, der bessere Schutz für Frauen oder auch AUF-Ideen zur Nutzung der Wertstofftonne in die Haushaltsüberlegungen einbezogen worden waren, wertete Specht als Erfolg.

Die PARTEI: Im Einsatz für die Schimmelpilzbekämpfung

Marc Meinhardt, Die PARTEI Gelsenkirchen
Marc Meinhardt, Die PARTEI Gelsenkirchen © Die PARTEI

Marc Meinhardt versuchte sich als Komiker im Körper eines Stadtverordneten. Sein Thema: Schimmelpilzbekämpfung im Haushalt. Sehr „gute Tipps“ von einer „sehr guten Partei“ verkündete er im Kampf gegen schwarz-rote und brauen Flecken. Lustig fanden das vor allem die Grünen. Eisiges Schweigen erntete der PARTEI-Politiker auf allen anderen Plätzen. Oberbürgermeisterin Welge, von Meinhardt als „Frau Obermeister“ angesprochen, konnte sich zumindest eine Nachfrage nicht verkneifen: „Sie sind sich schon bewusst, dass sie nicht auf einer Karnevalsveranstaltung auftreten?“