Gelsenkirchen. 307 Gelsenkirchener sind an/mit Corona verstorben. Was erklärt die vielen Corona-Toten? Was steckt dahinter? Eine Analyse und mehrere Vergleiche.

Die Zahlen, sie sinken, von Tag zu Tag. Der Sieben-Tag-Wert liegt in Gelsenkirchen (Stand: 12. Februar) bei 70,1, die Zahl der aktiven Fälle in der Stadt bei 550. Am Vortag waren es noch 570. Doch in den vergangenen Wochen ist eine traurige Zahl stetig angestiegen – die der Todesfälle. 307 Gelsenkirchener zählt die Stadt aktuell. Was hat es mit diesen Zahlen auf sich? Eine Analyse.

Gelsenkirchen zählt mehr Corona-Tote als die meisten anderen Städte in NRW

Seit Beginn der Pandemie weist das Robert-Koch-Institut insgesamt 9733 bestätigte Corona-Fälle für die Stadt aus. Über 300 Menschen sind an/mit Corona in dieser Zeit gestorben – das sind mehr Corona-Tote als in den meisten anderen Städten in NRW. In den vergangenen Wochen, besonders in den vergangenen beiden Monaten Januar und Dezember ist die Zahl der Toten drastisch gestiegen.

Mitte Dezember lag sie noch bei 48 Menschen, Mitte Januar schon bei 155. Die Zahlen können aber nicht für sich alleine stehen: Aufgrund verspäteter Arbeitsabläufe gingen viele Dezember-Zahlen erst im Januar in die Statistik ein.

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Die Altersverteilung der Gelsenkirchener Todesopfer bestätigt das um ein Vielfaches höhere statistische Sterberisiko für Senioren. Am 12. Februar liegt die Zahl der Todesfälle bei den über 80-Jährigen bei insgesamt 197. Davon waren 109 Frauen und 88 Männer. In der Altersgruppe der 60- bis 79-Jährigen verzeichnen die städtischen Statistiker 92 Tote – 34 davon weiblich, 58 davon männlich.

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Mit dem Stand vom 10. Februar weist Gelsenkirchen 115,9 Todesfälle je 100.000 Einwohner auf. Dicht dahinter liegen Oberhausen (112,4) und Mülheim (108,7) sowie Herne (108,1) und Hagen (102,7).

153 Todesfälle in stationären Pflegeeinrichtungen in Gelsenkirchen

Was könnten mögliche Ursachen sein? Eine Antwort: Corona gefährdet vor allem Ältere und Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften wie Asyl-, Pflege- und Seniorenheimen. „Insgesamt haben wir 153 Todesfälle in stationären Pflegeeinrichtungen in Gelsenkirchen zu verzeichnen“, so Stadtsprecher Martin Schulmann auf Nachfrage der Redaktion.

Todesfälle in den Altersgruppen

In der Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen sind sechs der insgesamt 16 Todesfälle weiblich, zehn männlich. In der Gruppe darunter verzeichnet die Todesfall-Statistik einen Mann. (Stand: 12. Februar).

In der Gruppe der 5- bis 14-Jährigen gibt es keine Todesfälle, in der Gruppe der 0- bis 14-Jährigen einen weiblichen.

Alle Zahlen zur Corona-Krise hat die Stadt detailliert zusammengestellt: gelsenkirchen.de

Eine andere Antwort: Ein gesundes Leben hängt stark von Bildungsstatus, Einkommen und anderen sozioökonomischen Faktoren ab. „Besonders ausgeprägt“ ist laut Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG) der Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und regionaler Verteilung von Arbeitslosigkeit. Eine Studie der AOK Rheinland/Hamburg und der Uniklinik Düsseldorf hat bereits gezeigt, dass Arbeitslose stärker gefährdet sind, wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden zu müssen.

Arm und krank gehören vor und in der Pandemie zusammen

Arm und krank gehören vor und in der Pandemie zusammen – und Gelsenkirchen ist bei der Armut Teil von „Deutschlands Problemregion Nummer 1“, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband das Ruhrgebiet im Armutsbericht 2020 nennt. Im Revier liegt die Armutsquote bei 21,4 %. Der Anteil der nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II – „Hartz IV-Gesetz“) Leistungsberechtigten lag in Gelsenkirchen 2019 bei 24,4 Prozent – zum Vergleich die Werte von zwei weiteren Dauer-Corona-Hotspots, ähnlich wie Gelsenkirchen: Duisburg mit 18,1 % und Herne mit 18,6 %.

Die soziale Situation der Covid-Toten wird nicht erfasst, aber die Sozial- und Gesundheitsdaten liefern Hinweise auf einen starken Zusammenhang zwischen Armut und hoher Corona-Sterberate.

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Eine weitere Ursache liegt bei der Corona-Infektionsrate: Wo es viele Corona-Fälle gibt, ist das Risiko für gefährdete Gruppen noch größer. Das gilt vor allem in pandemieunerfahrenen Regionen, die den Schutz der Risikogruppen noch nicht gelernt haben – also auch in Deutschland und Gelsenkirchen. Mit einer Infektionsrate von 3710,3 gemeldeten Fällen je 100.000 Einwohner zählte die Stadt zwischenzeitlich zur traurigen Spitzengruppe der Dauer-Hotspots. Höhere Infektionsraten hatten nur Herne (3819), Hagen (3741,8) und Solingen (3670,3) zu verkraften.

Das Ansteckungsrisiko ist in ärmeren Vierteln am größten

Was wiederum zu den unterschiedlichen Gelsenkirchener Bezirksinzidenzen und den Ergebnissen erster Studien passt: Das Ansteckungsrisiko ist in ärmeren Vierteln mit hoher Einwohnerdichte und weniger Pro-Kopf-Wohnfläche auch am größten. Die damit einhergehende, erhöhte Ansteckungsgefahr auch für Kranke und Ältere muss als einer der Hauptgründe für die hohe Sterblichkeit auch in Gelsenkirchen betrachtet werden. Dafür spricht zudem: NRW-weit erfassten nur weitere fünf Großstädte anteilig mehr Todesopfer. Darunter waren Herne, Oberhausen sowie auch Hagen.