Gelsenkirchen. Viele Gelsenkirchener sind frustriert, dass Systeme überlastet und Termin-Vereinbarungen unmöglich sind. Senior schreibt Brief an OB.

Montagmorgen, 25. Januar. Zähneputzen, duschen, Frühstück machen: All das muss warten - oder eben ganz fix nebenher erledigt werden. Schließlich ist es Tag 1 zur Buchung eines Termins für die Corona-Schutzimpfung von über 80-Jährigen in der Emscher-Lippe-Halle. Wer zuerst telefonisch oder online durchkommt auf der Homepage www.116117.de, der ergattert auch einen Termin. So jedenfalls die Theorie. Die Praxis aber sieht an diesem Tag für viele Senioren oder deren Angehörige ganz anders aus.

Meine Mutter ist ein Kriegskind. Jahrgang 1938, kann sie sich noch an angsterfüllte Bombennächte im Bunker erinnern. Sie hat viel erlebt und überstanden. Und so will sie es auch in der Pandemie halten und sich impfen lassen gegen Covid-19. Die Terminvereinbarung habe ich übernommen. "Ich mach das schon, habe ich versprochen. Etwas zu leichthin. Denn ich gerate von einer virtuellen Warteschlange in die nächste.

Frage, ob Anspruch auf die Impfung geprüft wurde

Die Hoffnung, dass die Website entgegen der Ankündigung schon um 6.30 statt um 8 Uhr freigeschaltet sein könnte, sie erfüllt sich nicht. Um 7.55 Uhr dann ein erstes Erfolgserlebnis: Ich kann mich durchklicken zum Bundesland NRW, zur Terminbuchung in Westfalen-Lippe und dann das Impfzentrum Emscher-Lippe-Halle auswählen. Ist doch gar nicht so schwer, denke ich noch - bis die Frage aufploppt, ob mein Anspruch auf eine Impfung "geprüft" wurde.

Mmh, da meine Mutter als 82-Jährige per Brief von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und Oberbürgermeisterin Karin Welge über das Impfangebot informiert worden ist, klicke ich "Ja" an. Aber einen Vermittlungscode, nein, damit kann ich nicht dienen, der ist auf den zwei beidseitig bedruckten Schreiben von Laumann und Welge nicht zu finden. Also doch "Nein", der Anspruch wurde nicht geprüft.

Viele bemühen sich um Termin auf allen Kanälen

Engzeilig auf grauem Hintergrund klärt mich die Website nun über die Voraussetzungen für eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt auf. Per Mausklick bestätige ich für meine Mutter, dass diese zur Gruppe derjenigen mit höchster Impf-Priorität zählt. Alles klar, der Anspruch gilt damit als geprüft. Noch meine Mail-Adresse und Handynummer eingeben und einen Code anfordern, der per SMS das Ganze verifiziert - und dann heißt es warten. Das Programm lädt und lädt und lädt - und meldet dann: "Es ist unerwartet ein Fehler aufgetreten".

Klar, der Ansturm wird riesig sein, also noch mal raus und alles von vorn. Während das Smartphone rödelt, versuche ich es telefonisch unter 0800 11611702. Vergeblich. Der Ruf kann nicht durchgestellt werden, ich soll es später noch mal versuchen. Überrascht bin ich nicht. Aber genervt nach 45 Minuten am Handy, einer "Noreply"-Mail, die mir eine weitere Möglichkeit zur Terminbuchung eröffnet. Aber auch nur theoretisch. Denn die Fehlermeldung hat sich wie ein Parasit auf meinem Display eingenistet.

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Erfahrungsaustausch mit Redaktions-Kollegin

Am Schreibtisch im Homeoffice tausche ich dann Erfahrungen mit der Kollegin aus, die Termine für gleich drei betagte Angehörige vereinbaren muss. Parallel dazu versucht es auch ihr Mann von drei (!) Rechnern aus. Sie klagt ebenfalls über Fehlermeldungen und verwirrende Aufforderungen, nach der Buchung des ersten Termins einen Ersatztermin anzuwählen - ohne dass ein konkretes Datum genannt worden wäre, wohlgemerkt.

Um 10.17 Uhr dann, nach drei Stunden in der Warteschleife, meldet ihr Mann Vollzug: Der erste Impfungstermin für seinen Vater ist online gebucht. Das freut mich für ihn. Und meine Mutter? Frustriert versuche ich es weiter auf allen Kanälen, als die Kassenärztliche Vereinigung noch vor 11 Uhr mitteilt: "Zurzeit sind alle Termine ausgebucht. Wir arbeiten daran, Ihnen bald neue Termine anbieten zu können." Wann das der Fall sein wird? Keine Ahnung!

Erstimpfung nur mit Termin für die Zweitimpfung

Immerhin kommt der Schwiegervater der Kollegin zum Zug. Freilich sollte er sich nur gedämpft auf den ersten Pieks freuen: Auf der Bestätigung des ersten Termins steht, dass dieser ohne den Nachweis eines Zweittermins verweigert werden könne. Bei der Patientenservice-Hotline 116117 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung habe man dieses Dilemma dann nicht auflösen können. "Dazu liegen mir leider keine Informationen vor", habe eine überforderte Mitarbeiterin mitgeteilt und geraten, es doch noch einmal telefonisch bei der Impftermin-Hotline zu versuchen. Dort aber kommt er nicht durch.

Als ich meiner Mutter eröffne, dass es heute nicht geklappt hat, zuckt sie nur die Schultern. "Was hilft's. Das habe ich mir schon gedacht. Dann probieren wir es eben einfach beim nächsten Mal." Warten hat sie mit 82 Jahren gelernt.

>> Leser wenden sich mit Beschwerden über Impftermin-Vergabe an die Redaktion

Zahlreiche Leser meldeten sich in Redaktion und berichteten von ähnlichen Erfahrungen. "Erst kommt man online nicht drauf und nach einer Stunde sind alle Termine vergeben. Und da wundert man sich, dass die Leute keine Lust mehr haben. Wer plant sowas?", ärgert sich etwa ein Gelsenkirchener, der für seine Schwiegereltern Termine buchen wollte.

Klaus Hestermann empörte sich gar so sehr, dass er gleich einen Beschwerdebrief an OB Karin Welge aufsetzte: "Die Schritte zur Terminierung über das Internet sind für uns 80+ viel zu kompliziert", hofft er darauf, dass die neue OB bei den Verantwortlichen des Impftermin-Verfahrens "eher die Chance (hat) gehört zu werden als wir Normalbürger".

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