Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen gibt es jetzt einen Leitfaden „Schulabsentismus“. Damit sollen Lehrkräfte besser und schneller Schulverweigerer zurückholen.

Krankheit, Mobbing, Verwahrlosung: Wenn Kinder nicht mehr zur Schule gehen, hat das meist sehr vielschichtige Gründe. Gelsenkirchen hat jetzt im Kampf gegen Schulverweigerer einen neuen Leitfaden entwickelt, um chronische Schulschwänzer zurück in die Gesellschaft zu holen.

„Wir möchten den Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass wir sie im Blick haben und auf sie achten“, sagte Bildungsdezernentin Anne Heselhaus am Montagnachmittag bei der Vorstellung des Leitfadens „Wir merken, dass Du fehlst!“ in der Gelsenkirchener Volkshochschule. Dabei gehe es in erster Linie darum, den Schülern und ihren Eltern „mehr mit Wertschätzung zu begegnen als mit harten Interventionsmaßnahmen und Strafen“. Botschaft: Du bist uns wichtig, Ihr Kind ist uns wichtig.

250 Verfahren wegen Schulschwänzen

Parallel zur Präsentation des Leitfadens haben alle Mitwirkenden zum Umgang mit „Schulabsentismus“ eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Beteiligt sind die vier Gelsenkirchener Hauptschulen Am Dahlbusch, Emma-, Grillo- und Schwalbenstraße sowie das Referat Kinder, Jugend und Familie und die regionale Schulberatungsstelle.

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Das ist aber erst der Anfang. „Wir möchten den Leitfaden auch auf andere Schulformen übertragen, evaluieren und auch modifizieren – je nach Bedarf“, sagte Schulrätin Ulrike Kleber. Die Gesamtschulen sollen als Nächstes mit ins Boot geholt werden, aber auch Realschulen und Gymnasien. Denn Schulschwänzen sei zwar in „bildungsferneren Schichten ein ausgeprägteres Phänomen“, beileibe aber nicht auf diese beschränkt. „Bei der Stadt sind 250 Ordnungswidrigkeitenverfahren aufgelaufen“, nannte Ulrike Kleber aktuelle Zahlen, die die Dimension des Problems in Gelsenkirchen verdeutlichen.

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In Gelsenkirchen griff das Jugendamt und der Kommunale Ordnungsdienst im 2018 bereits 57 Mal ein, 2017 lag die Zahl der Schulzuführungen noch bei 31, das ist eine Zunahme von rund 84 Prozent.

Viel schlimmer als die drohenden Bußgelder sind die Auswirkungen für Betroffene und auch die Gesellschaft: eine Wiederholung der Klasse, das Fehlen eines Schulabschlusses und damit einhergehend die fehlende Perspektive, einen Platz auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu finden. Kurz: Hartz IV.

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War es früher „mehr dem Engagement des Klassenlehrers oder der Schule geschuldet“, so Eva Kleinau von der federführenden Jugendhilfe Schule der Stadt, wie schnell das Fehlen von Schulverweigern erfasst, gemeldet und entsprechend gegengesteuert wurde, so bietet der Leitfaden nun konkrete und systematische Handlungsanweisungen. Er beinhaltet einen kurzen Theorieteil, in dem die gesetzlichen Grundlagen, die Ursachen und Formen sowie der sinnvolle Umgang mit Schulabsentismus erläutert wird. In Teil B wird ein Stufenmodell samt Formularen und Anschreiben dargestellt. In Teil C gibt es Hinweise und Vorlagen zum Erfassen von Fehlzeiten.

Fachgruppe gegründet

Zur Erarbeitung des Leitfadens hatte sich vor etwa zwei Jahren die Fachgruppe „Fehlzeiten erfassen – systematisch vorgehen“ gegründet, an der auch die Schulaufsicht und das Schulamt beteiligt sind.

Zu der Fachgruppe gehören verschiedene Akteure wie Schulleitungen und Fachkräfte der Schulsozialarbeit an den beteiligten Hauptschulen, die Jugendhilfe und die regionale Schulberatungsstelle.

Evaluation nach ein bis zwei Jahren

Die Hauptschule Am Dahlbusch ist eine von vier Gelsenkirchener Hauptschulen, die aktiv am Leitfaden „Schulabsentismus“ mitmachen. Mit dabei sind auch die Hauptschulen Emma-, Grillo- und Schwalbenstraße.
Die Hauptschule Am Dahlbusch ist eine von vier Gelsenkirchener Hauptschulen, die aktiv am Leitfaden „Schulabsentismus“ mitmachen. Mit dabei sind auch die Hauptschulen Emma-, Grillo- und Schwalbenstraße. © FFS | Martin Möller

Das Fehlen in der Schule kann vielerlei Ursachen haben. Etwa Mobbing, Krankheit, eine pubertäre Null-Bock-Haltung oder Eltern, die wenig bis kein Interesse am Werdegang ihres Nachwuchses haben. Auch Corona spielt seit dem ersten Lockdown dabei eine Rolle wie Schulsozialarbeiter Volkmar Kirchner von der Hauptschule Emmstraße berichtet: Es gebe Eltern, die aus Sorge wegen Coronafällen in der Klasse „ihre Kinder lieber eine Woche zuhause halten wollen“. Dann wiederum Schüler, die Corona-Angst als Vorwand nutzen, einfach mal nicht zur Schule zu gehen oder solche, die damit tieferliegende Ursachen ihrer Verweigerungshaltung übertünchten.

Um zu sehen, zu welchen Ergebnissen der Leitfaden führt und wie groß das Problem der Schulverweigerer ist, sollen erste Ergebnisse nach ein bis zwei Jahren Anwendung zusammengetragen werden, wie Anne Heselhaus ankündigte. Davon verspricht sich die Bildungsdezernentin eine Aussage zum Wirkungsgrad des neuen Leitfadens.