Gelsenkirchen. Das Coronavirus bringt auch viele Missstände in unserer Gesellschaft zum Vorschein. Darüber diskutierten Künstler aus Gelsenkirchen mit Gästen.

Corona zerstört viele Strukturen und deckt vieles auf – etwa, dass es Berufe gibt, die wenig Wertschätzung erfahren wie Künstler, Bestatter, Prostituierte oder Erntehelfer. Um den Blick dafür zu schärfen und Diskussionen anzuregen, haben die Künstlerin Claudia Lüke (57) und der gleichaltrige Fotograf Uwe Jesiorkowski ihr Projekt „AD2AP“ (Art Destruction to Art Protection) zu einem Veranstaltungskonzept erweitert.

Kritik an der schlechten Bezahlung für die Erntehelfer in Deutschland

Dirk Blum ist der Vorsitzende des Stadtverbandes der Gelsenkirchener Bestatter.
Dirk Blum ist der Vorsitzende des Stadtverbandes der Gelsenkirchener Bestatter. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Vor Ort, an der Hauptstraße 17 in der Altstadt, wo seit Wochen in einem leerstehenden Geschäft Fotos und Schutzmasken ausgestellt sind, trafen sich am vergangenen Freitag der Vorsitzende des Stadtverbandes der Bestatter, Dirk Blum, und auch Hermann J Kassel, ein Künstler aus Mechernich. Sie diskutierten aus unterschiedlichen Blickwinkeln über den Wandel in der Gesellschaft und über das Wegbrechen von Normalität durch Corona.

„Gleichzeitig macht die Krise aber auch sichtbar, wie wichtig beispielsweise Erntehelfer sind, die dringend gebraucht werden, in Deutschland aber für extrem wenig Geld beschäftigt werden“, betonte Claudia Lüke. „Corona bringt viele Missstände ans Tageslicht, über die man dringend diskutieren muss.“ Das berühre auch den Bereich Menschenwürde und Menschenrechte. Ein Thema, mit dem sich Hermann J Kassel seit langem auseinandersetzt. Er hat eine Fensterfläche der Ausstellung mit seinem Slogan „Ich bin wertvoll“ gestempelt. „Auch über den eigenen Wert sollte viel öfter nachgedacht werden“, sagt er.

Auch mit Passanten in Gelsenkirchen ins Gespräch kommen

Im ersten Schritt vor einigen Wochen hatte die Gelsenkirchenerin Lüke von ihr bemalte Leinwände zerschnitten und Mund-Nase-Masken daraus hergestellt. Gleichzeitig hatte Jesiorkowski Menschen aus unterschiedlichsten Berufen mit den Masken fotografiert. Viele Menschen aus sogenannten systemrelevanten Berufen wurden abgelichtet. Sie werden jetzt – genauso wie Künstler – in zeitlichen Abständen eingeladen, um über Werte, Wandel, Zerstörung und Sichtbarmachen zu diskutieren. Natürlich auch gerne mit Passanten und Interessierten.

„Bestatter Blum, der von Uwe Jesiorkowski porträtiert wurde, gehört einer Berufsgruppe an, die aus der öffentlichen Wahrnehmung ausgeschlossen ist, da der Tod, als unweigerlicher Bestandteil des Lebens, in unserer Gesellschaft ausgeklammert wird“, erklärte Lüke. Zum Thema „Wandel in der Gesellschaft“ erklärte er viele Veränderungen in seinem Berufsfeld. Auch die Einstellung zu Bestattungen habe sich enorm gewandelt, sowohl in der evangelischen, als auch in der katholischen Kirche. Immer mehr Menschen wollten in einer Urne beigesetzt werden. Das habe sicher zum einen finanzielle Gründe, weil eine Urnenbestattung preiswerter sei.

Corona beschleunigt auf fast allen Gebieten des Lebens die Umbrüche

Auf der anderen Seite hätten sich aber auch die Werte verschoben. Viele wollen, dass ihre Asche auf einem speziellen Feld oder auf hoher See verstreut wird oder möchten in einer Naturruhestätte im Wald beerdigt werden. Wandel in der Gesellschaft hat immer stattgefunden. Corona allerdings beschleunigt auf fast allen Gebieten des Lebens diese Umbrüche. Diese Änderungen sichtbar zu machen und den Wertewandel in den Fokus zu rücken, haben sich Lüke und Jesiorkowski mit ihrem Projekt „Art Destruction to Art Protection“ vorgenommen.

Details zum Projekt

Das Pilotprojekt „AD2AP“ von Künstlerin Claudia Lüke und Fotograf Uwe Jesiorkowski in der Hauptstraße 17 in Gelsenkirchen ist der Startpunkt. Die sich fortschreibende Ausstellungsreihe soll über viele Orte und in viele Länder führen. Es wird in jeder Stadt ein neuer Akzent über die Auswahl der Bilder sowie die jeweils eingeladenen Künstler und Berufsvertreter gesetzt.

Belgrad meldete bereits Interesse an. In Köln soll es ins Rotlichtviertel gehen, in dem mit einer Prostituierten über die Veränderungen ihres Berufs durch Corona diskutiert werden soll. Kontakt: www.claudia-lueke.de oder 0209/14 87 630 sowie www.uwejesiorkowski.de oder 01590/13 82 196.

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