Gelsenkirchen. Jörg Schneider ist Kreissprecher der Gelsenkirchener AfD. Nun will der Bundestagsabgeordnete auf den OB-Sessel. Früher war er Bundeswehr-Offizier.
Jörg Schneider hat eine dreistellige Mitgliedsnummer bei der Alternative für Deutschland (AfD). Das erwähnt der 56-Jährige beiläufig, will damit aber aufzeigen, dass er dieser Partei bereits 2013 beigetreten ist – also im Gründungsjahr. Das waren jene Zeiten, als der Bundesvorsitzende noch Bernd Lucke hieß und die wichtigsten Themen die Eurokrise und der Griechenland-Rettungsschirm waren. Zuvor war er bereits in anderen Parteien aktiv – kurz bei der FDP, länger bei den Christdemokraten. „Ich habe dann aber nicht die CDU verlassen, sondern die CDU hat mich verlassen“, blickt Schneider zurück. „Unter Kanzlerin Merkel war mir diese Partei einfach nicht mehr konservativ genug.“
Hafen Graf Bismarck zählt zu seinen Lieblingsorten in Gelsenkirchen
Wir treffen Jörg Schneider am Hafen Graf Bismarck. Das Neubaugebiet zählt zu seinen Lieblingsstellen in der Stadt. Entlang des Rhein-Herne-Kanals geht er in seiner Freizeit gern spazieren, wenn er als Bundestagsabgeordneter mal nicht in Berlin gefordert ist, sondern Zeit in seinem Wahlkreis Gelsenkirchen verbringen kann. Seit zehn Jahren lebt er hier, genauer gesagt: in Schalke. Damals trat er seine Stelle als Lehrkraft am hiesigen Berufskolleg für Technik und Gestaltung an, unterrichtete dort Mathematik und Maschinentechnik – bis er 2017 über einen Listenplatz für die AfD in den Bundestag einzog.
„Gelsenkirchen ist meine Heimat geworden“, sagt Schneider, dessen Lebensweg ihn vom Geburtsort Solingen auch nach Hamburg oder Dresden geführt hat. Nun will er hier in dieser Stadt Oberbürgermeister werden. Wäre der Wechsel auf kommunale Ebene nicht ein Rückschritt für einen Bundespolitiker? „Das finde ich nicht“, sagt Schneider. „Ich kann doch als OB viel schneller und wirksamer etwas für die Stadt entwickeln, als ich es als einer von über 700 Abgeordneten in Berlin schaffen könnte.“ Obwohl er als AfD-Vertreter sogar der nach Sitzen derzeit größten Oppositionspartei angehöre, könne man „von Berlin aus immer nur sehr wenig direkt für seinen Wahlkreis tun“. Daher liebäugelt er nun mit dem OB-Sessel im Hans-Sachs-Haus.
Das Prinzip von „Befehl und Gehorsam“
Schneider ist der Kreissprecher der AfD Gelsenkirchen, die derzeit rund 130 Mitglieder hat. Zählt für ihn, der zwölf Jahre als Offizier (höchster Rang: Hauptmann) bei der Bundeswehr gedient hat, auch da das früher gelebte Prinzip von „Befehl und Gehorsam“? Schneider verneint das. „Ich setze in der AfD auf einen kooperativen Führungsstil und versuche, die Leute hier mitzunehmen“, sagt er.
Die Redaktion hatten im Vorfeld der Kommunalwahl hingegen kritische Stimmen aus der Partei erreicht. In Schreiben beklagten Mitglieder einen „autokratischen Führungsstil“ Schneiders und gezielte Absprachen vor Vorstandswahlen. Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, sagt Schneider, dass sie „substanzlos“ seien. Er vermutet hinter den Briefschreibern jene Personen, die selbst bei Wahlen nicht den erhofften Posten oder Listenplatz ergattern konnten und nun ihre Enttäuschung darüber auf diesem Wege zum Ausdruck bringen wollten.
Das 50-seitige Programm zur Kommunalwahl der AfD habe man in mehreren Gruppen erarbeitet. Da sei gar nichts „von oben aufgedrückt, sondern alles gemeinsam entwickelt“ worden. „Mit Befehl und Gehorsam kommt man in einer Partei nicht weit“, so Schneider.
AfD steht auf Bundesebene eine Zerreißprobe bevor
Deshalb engagiert er sich nun auch im lokalen Wahlkampf, ist an vier von neun Infoständen persönlich zugegen, mit denen die rechtspopulistische Partei den Kontakt zu den Bürgern sucht. Corona erschwere das alles natürlich. Das Wichtigste sei für ihn sowieso: „Ich will den Leuten zuhören. Ich will von ihren Problemen erfahren.“
Probleme hat seine eigene Partei dabei derzeit selbst zur Genüge. Die AfD steht auf Bundesebene vor einer Zerreißprobe. Der vom Verfassungsschutz sogar als „rechtsextremistisch“ eingestufte „Flügel“ drängt immer mehr in den Vordergrund. Mit Andreas Kalbitz wurde einer der prominenten „Flügel“-Vertreter kürzlich aus der Partei ausgeschlossen – was viele aus der rechtsextremen Anhängerschaft nicht akzeptieren wollen.
Jörg Schneider positioniert sich hinter Meuthen und gegen Kalbitz
„Ich stehe in diesem Konflikt eindeutig hinter unserem Bundessprecher Jörg Meuthen und begrüße den Ausschluss von Kalbitz“, betont Schneider, der sich als Vertreter des „bürgerlich-konservativen Lagers“ innerhalb der AfD bezeichnet. Er weiß, dass dieser Streit das Potenzial hat, um einen Keil in die eigene Wählerschaft zu treiben. „Eine Spaltung der Partei befürchte ich aber nicht“, sagt Schneider.
Nicht wenige AfD-Anhänger gehören zu jener Gruppe, die gegen die Corona-Schutzverordnungen Stimmung macht und oft Hygienevorschriften missachtet. Bei Schneider schlagen da „zwei Herzen in meiner Brust“. Er trage da, wo es vorgeschrieben sei, „natürlich eine Maske“. Etwa beim Einkaufen. Und die Existenz des Corona-Virus zu leugnen, sei „blanker Unsinn“. Er empfehle aber, nicht immer nur auf die Infektionszahlen zu blicken, sondern auch auf die Zahl der belegten Intensivbetten. Und diese sei seit Wochen auf einem konstant niedrigen Niveau, weiß er als Mitglied des Bundestagsausschusses für Gesundheit aus erster Hand.
Kernthemen der AfD blieben auch im Kommunalwahlkampf, so Schneider, die Flüchtlinge und die Zuwanderung. Von Städten, in denen bereits viele Zuwanderer leben würden, so wie hier in Gelsenkirchen, ginge eine zu starke Sogwirkung auf deren Landsleute aus. „Mich stört vor allem diese grundsätzliche Willkommenskultur in unserem Land. Wir haben hier die Tendenz, unsere Arme zu weit zu öffnen,“, so Schneider. Und er ist sich sicher, dass Haltungen wie diese seiner Partei dazu verhelfen werden, im nächsten Stadtrat zehn bis 15 Mandate zu erobern.
Jörg Schneider: Das sind meine Schwerpunkte
„Gelsenkirchen hat einiges zu bieten, es ist eine sehr grüne Stadt, die Lebenshaltungskosten sind niedrig, vor allem Wohnraum ist günstig. Wäre es nicht eine große Chance für unsere Stadt Gelsenkirchen, wenn wir künftig auch Gutverdiener aus Münster und Düsseldorf als neue Bewohner gewinnen könnten?
Zugegeben: Von Gelsenkirchen ist man in die genannten Städte gut eine Stunde unterwegs, aber Corona hat dem Home-Office einen Schub gegeben. Und wenn der Arbeitsweg zukünftig nur noch zwei- oder dreimal die Woche zu bewältigen ist, ist es vielleicht interessanter, mehr Wohnfläche als einen kurzen Arbeitsweg zu haben. Unsere Stadt würde von der Kaufkraft dieser Bürger vielfach profitieren: Einzelhandel,Gastronomie, haushaltsnahe Dienstleistungen. Aber dafür müssen wir auch einiges bieten: Eine gute Infrastruktur, Sicherheit, eine gute Ausstattung unserer Schulen, Sauberkeit – eben eine lebenswerte Stadt.“