Gelsenkirchen. Künstlerinnen und Künstler des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier schwärmten beim Theaterfest am Samstag ins gesamte Stadtgebiet aus.
„Jetzt wird’s wieder schön“, verspricht der Flyer, den eine Statistin einem eiligen Passanten auf der Bahnhofstraße in die Hand drückt. Nur ein paar Meter weiter wird der Mann erleben, was das heißt: Auf der Treppe der Altstadtkirche formieren sich 25 Sängerinnen und Sänger des Opernchores und stimmen klangschön Verdis berühmten Gefangenchor an. Das Musiktheater im Revier eröffnete am Samstag die Spielzeit 2020/21 mit einem etwas anderen Theaterfest und brachte Tanz und Musik überraschend in die ganze Stadt – direkt zu den Menschen vor Ort.
Ob auf der Bahnhofstraße oder der Domplatte in Buer, ob vorm Hans-Sachs-Haus oder der Bleckkirche, ob vorm Schloss Horst oder am Bismarcker Hafen, die Reaktionen auf die musikalischen Flashmobs waren überall gleich: Die Menschen blieben neugierig stehen, sahen und hörten zu, oft mit einem Lächeln, klatschten Beifall. Das Opernhaus überschwemmte die Stadt förmlich mit reinem Wohlklang und traf damit auf weit offene Ohren und Herzen.
Opernchorsänger Charles Moulton war nach seinem Auftritt glücklich
Das Glück lag aber auch auf Künstlerseite. „Jetzt spürt man erst einmal, was man so lange vermisst hat“, seufzte Opernchorsänger Charles Moulton glücklich nach seinem Auftritt auf dem Heinrich-König-Platz. Er genoss wie seine Kollegen den allerersten gemeinsamen Auftritt nach der Corona-Zwangspause. Im schwedischen Lied „Sommerpsalm“ von Waldemar Ahlen durfte er das Solo singen: „Das tat einfach wieder gut!“ Auch den Zuhörern. Beim Freiheitschor aus „Nabucco“ flüsterte eine Passantin: „Ach, da bekomme ich Gänsehaut!“ Eine andere wird später den drei Opernsängern aus dem MiR-Ensemble vor dem St. Urbanus-Dom gestehen: „Ich bin so glücklich, dass sie wieder da sind.“
Gemeinsam mit einem großen begleitenden Team strömten die Sänger, Tänzer und Musiker in die Stadt. „Wir haben im Vorfeld keine genauen Auftrittsorte bekannt gegeben“, sagt Regisseur Carsten Kirchmeier. Um Überraschungseffekte zu erzeugen, aber auch, um zu dichte Menschenansammlungen zu vermeiden.
Das Überraschungsfeuerwerk im Gelsenkirchener Stadtgebiet zündete
Traditionell startete das Musiktheater bislang mit einem großen Fest im und rund ums Opernhaus in die neue Spielzeit. Da gab es alljährlich kleine Kostproben in den Foyers und den Sälen, durften sich die Kinder schminken lassen, wurden Kostüme verkauft, konnte das Publikum hinter die Kulissen blicken. Die Corona-Krise machte das in diesem Jahr unmöglich. Aber auch das Überraschungsfeuerwerk zündete.
Wie aus dem Nichts tauchen sie auf, die Tänzerinnen und Tänzer der MiR-Dance-Company, und bewegen sich auf dem Straßenpflaster der City zum Sound fröhlicher italienischer Klänge aus dem Lautsprecher, dynamisch, energiegeladen, leidenschaftlich, lebensfroh. Company-Direktor Giuseppe Spota feuert seine Truppe vom Rand aus an. Wie ist es, endlich wieder vor Publikum aufzutreten? Der Italiener strahlt: „Einfach schön!“
Großer Hunger auf Kunst und Kultur
Das empfinden auch die Zuhörer auf der Domplatte, als Mezzosopranistin Almuth Herbst die berühmte Puccini-Arie „O mio babbino caro“ anstimmt, begleitet von Udo Herbst an der Gitarre. Die Sängerin sagt anschließend: „Man spürt einfach, wie hungrig die Menschen nach Kunst und Kultur sind.“ Lacht, und weiter geht’s zum Bismarcker Hafen.
In der St. Augustinus-Kirche genießen die Menschen derweil Kostproben eines Gesangsensembles aus der Monteverdi-Oper „L’Orfeo“ (Premiere am 17. Oktober im Großen Haus). Hoffnungsfrohe sakrale Klänge, die bis nach draußen dringen.
Spannende Einblicke in die Proben zum Musical „The Black Rider“
Wer sich zuvor ein kostenloses Ticket besorgt hatte, durfte ins Musiktheater hinein. Auch hier Glücksmomente: Das Einlasspersonal begrüßte lächelnd viele Stammgäste. Die Förderverein-Vorsitzende Christiane Wilke eilte die Treppen hinauf: „Ich habe schon draußen den Sängern gelauscht, was für ein Genuss!“ Dramaturg Olaf Roth gab gemeinsam mit Regisseurin Astrid Griesbach spannende Einblicke in die laufenden Probenarbeiten zum Musical „The Black Rider“ (Premiere: 19. September). Hier lässt das MiR auch die Puppen tanzen. Sänger und Spieler arbeiten mit Visieren, die Stimmen werden mit Mikros verstärkt.
Am Ende war unter anderem Theatermacher Carsten Kirchmeier begeistert, wie gut das etwas andere Theaterfest funktioniert hat. Eine Option auch für spätere Spielzeiteröffnungen? Kirchmeier lacht: „Durchaus denkbar!“ Insgesamt ein großartiger Auftakt. Und man darf gewiss sein, dass der Satz auf dem Programmflyer stimmt: Jetzt wird’s wieder schön! Und über dem Musiktheater leuchtet weithin sichtbar das neue Banner: „Mit Sicherheit das beste Theater“.