Gelsenkirchen. Zurzeit wird darüber diskutiert, ob Apotheker in Zukunft gegen Grippe impfen dürfen. Gelsenkirchener Ärztesprecher haben eine klare Meinung.
Die Idee ist auf den ersten Blick eine gute: Wenn im Herbst auch in Gelsenkirchen die Saison der Grippeimpfungen beginnt, dann sollen nicht nur die Ärzte, sondern auch die Apotheker zur Spritze greifen dürfen und in ihren Apotheken die Patienten gegen Grippe impfen. Um die Impfquote zu erhöhen. Doch wie bei vielen Ideen, die auf den ersten Blick gut und sinnvoll erscheinen, ist die Sache beim zweiten und dritten Blick komplizierter.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Idee schon im vergangenen Jahr auf den Tisch gebracht, und 2020, im Zeitalter von Corona, bekommt sie noch einmal neuen Schwung. Menschen, die aus Angst vor einer Corona-Infektion im voll besetzten Wartezimmer den Gang zum Arzt scheuen, soll eine Alternative geboten werden. Denn es sei wichtig, dass sich viele Menschen gegen die Grippe impfen lassen: So soll vermieden werden, dass eine mögliche zweite Corona-Welle zeitgleich mit einer Grippewelle kommt und so das Gesundheitssystem an seine Grenzen bringt.
Gelsenkirchener Ärztesprecher: „Apotheker spielen mit der Patientensicherheit“
Doch Ärztevertreter warnen: Ganz so einfach, wie man es sich in Berlin im Gesundheitsministerium vorstellt, sei die Sache dann doch nicht. „Das Thema Impfen ist hochkomplex“, sagt Dr. Klaus Rembrink, Leiter der Gelsenkirchener Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung. Nicht einmal jeder Arzt dürfe automatisch impfen: „Auch wir Mediziner müssen uns erst schulen lassen, bevor wir an den Patienten dürfen.“
Sein Berufskollege Dr. Arnold Greitemeier, Verwaltungsbezirksvorsitzender der Ärztekammer Westfalen-Lippe, wird sogar noch deutlicher. „Apotheker, die sich dafür starkmachen, spielen mit der Patientensicherheit“, sagt der Mediziner. „Bevor ein Arzt impfen darf, hat er fünf bis sechs Jahre lang Medizin studiert, anschließend eine noch einmal mindestens so lange Ausbildung zum Facharzt absolviert.“ Das können man nicht durch einen Schnellkursus ersetzen.
Pilotprojekt startet im Apothekerbezirk Nordrhein
Denn die Impfung sei weitaus mehr als nur ein kleiner Pieks in den Oberarm. „Es können immer Komplikationen auftreten“, warnt Dr. Greitemeier. Zum einen bestünde wie bei jeder Impfung die Gefahr eines allergischen Schocks. „Zum anderen muss ich als Arzt auch wissen, wann ich nicht impfen darf“, sagt er. „Wenn ein Patient beispielsweise eine akute Bronchitis hat, wäre eine Impfung schlecht.“
Christian Schreiner, Kreisvertrauensapotheker in Gelsenkirchen verweist auf das Nachbarland Frankreich,
wo entsprechend geschulte Apotheker seit einiger Zeit gegen Grippe impfen dürfen. „Auch dort hat es zunächst mit einem Pilotprojekt begonnen – das war so erfolgreich, dass man es inzwischen flächendeckend ausgeweitet hat.“ In Deutschland soll im Herbst ein Modellprojekt starten: Der Apothekerverband Nordrhein und die AOK Rheinland/Hamburg vereinbarten eine entsprechende Zusammenarbeit.
Kreisvertrauensapotheker Christian Schreiner gibt sich zurückhaltend
„Meine Kollegen aus Gelsenkirchen und ich werden dann ganz genau hinschauen, wie das läuft“, gibt sich Schreiner zunächst abwartend. Jeder Apotheker müsse für sich bewerten, ob er diese Leistung anbieten wolle. Dafür müssten einige Hürden genommen werden. „Die Kollegen müssen geschult werden, außerdem müssen in den Apotheken auch die räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden.“
12,61 Euro netto für die Impfung
Der Apothekerverband Nordrhein hat mit der AOK Rheinland/Hamburg ein Modellvorhaben über Grippeschutzimpfungen in Apotheken abgeschlossen. Voraussetzung ist unter anderem eine ärztliche Schulung eines Apothekers aus der jeweiligen Apotheke. Nach Angaben des Apothekerverbands Nordrhein erhalten die Apotheken für die Impfung eine pauschale Vergütung von 12,61 Euro netto.
In Deutschland liegt die Impfrate für Grippeschutz bei Menschen ab 60 Jahren derzeit bei etwa 35 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt allerdings eine Rate von 75 Prozent.
Dr. Greitemeier ist von der Idee nicht überzeugt. „Die Apotheker sollten sich besser dafür einsetzen, dass genügend Impfstoff zur Verfügung steht, „sagt er. „Das ist das eigentliche Problem.“
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