Gelsenkirchen-Schalke. Dank Ingeborg Mayr liegen auf Schalke zwei Stolpersteine des jüdischen Ehepaars Kahn – auch wenn ihr der Grund für die Spende weh tut.
Stolpersteine aus Schalke sollten es sein, übermittelte Ingeborg Mayr-Matthaei die einzige Voraussetzung für ihre Patenschaft an den Gelsenkirchener Projektleiter Andreas Jordan. Schließlich sei sie selbst 1938 an der Kaiserstraße (der heutigen Kurt-Schumacher-Straße) geboren worden. Der Grund, warum sie die Kosten für die Stolpersteine des jüdischen Ehepaars August und Rosa Kahn übernahm, kommt der heute 81-Jährigen dagegen schwer über die Lippen: „Mein Vater war ein Nazi.“
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Stolpersteine: Vom Schalker Metzger und engagierten Schülern
Im Gespräch zeichnet die gebürtige Schalkerin das Bild eines Mannes, der vor 90 Jahren mit romantischen Gedanken im Kopf und mit dem Fahrrad zwischen den Beinen über die Felder geradelt sei. Ein Kind seiner Zeit. „Ich glaube, er war unpolitisch“, sagt Mayr. Vorhanden war dagegen ein nationales Bewusstsein. „Er hat Deutschland als Volk der Dichter und Denker gesehen, dem eine führende Rolle in Europa zusteht – und Adolf Hitler als den, der sie ausfüllen kann.“
Mayr-Matthaei: „Mein Vater war von Hitler überzeugt“
1936 sei er in die NSDAP eingetreten, berichtet Ingeborg Mayr. Sie macht eine Pause, die Sätze kosten Überwindung. „Ich muss es leider sagen, auch wenn es mir schwer fällt: Mein Vater war von Hitler überzeugt.“ Er hätte an das geglaubt, was ihm gut erschien, und alles andere beiseite geschoben: die Gräuel, den Terror, die Vernichtung von Menschen wie August und Rosa Kahn.
Blinden Fanatismus lebt der Vater, ein Mitarbeiter von Grillo Funke (damals Teil der Röhrenwerke Mannesmann) hingegen nicht aus: Zusammen mit zwei Ingenieuren erhält er 1945 den Auftrag, den Volkssturm Gelsenkirchen aus viel zu jungen und viel zu alten Männern nach Paderborn-Sennelager zu führen. Im Angesicht der nahenden Amerikaner hätte er den Männern dann aber freigestellt, in ihre Heimat zurückzukehren, so erzählt es Mayr nach der Durchsicht von Aufzeichnungen.
Nach dem Krieg schweigt ihr Vater
Nach dem Krieg schweigt ihr Vater. „Vielleicht aus Schuldgefühlen, aus Scham. Vielleicht auch, weil ich die falschen Fragen gestellt habe“, sagt die Frau, die studiert und Volksschullehrerin an der Gemeinschaftsschule Buer/Resser Mark wird, bevor sie Kinder groß zieht.
Die Vergangenheit ihres Vaters drängt sich mit dem Alter wieder in das Bewusstsein der Gelsenkirchenerin. Sprechen könne sie darüber erst seit wenigen Jahren, sagt Ingeborg Mayr. Sich mit der Rolle des Vaters auseinanderzusetzen, verstärkt in Mayr den Wunsch, sich zu engagieren - um die Opfer des Naziterrors dem Vergessen zu entreißen.
Metzgermeister und glühender Schalke 04-Anhänger
Menschen wie August und Rosa Kahn von der Schalker Gewerkenstraße 68. Im Weltkriegsveteran Kahn, 1869 in Mayen geboren, fließt königsblaues Blut. Der jüdische Metzgermeister ist dem FC Schalke 04 in vielerlei Hinsicht verbunden, kennt die Kicker persönlich, lädt nach dem Training zur Stärkung in die Wurstküche. Das ändert sich, als er erst 1933 den Verein verlassen muss, dann sein Geschäft verliert und in das „Judenhaus“ an der Klosterstraße 21 zwangseingewiesen wird. Von dort deportieren die Nazis ihn und seine Frau Rosa (Jhg. 1872) am 27. Juli 1942 ins Ghetto Theresienstadt. Sie stirbt am 4. September 1942, er am 11. Oktober 1944.
Wiedergutmachen könne sie das Verhalten ihres Vaters mit der Spende für die beiden Stolpersteine nicht, weiß Ingeborg Mayr. Aber ein Zeichen setzen in einer Zeit, die der 81-Jährigen Unbehagen bereitet. „’Nie wieder’ ist leicht gesagt, es müssen Taten folgen. Ich habe den Eindruck, dass es politisch brenzlig wird.“ Die Stolpersteine seien deshalb ein außerordentlich gutes und wichtiges Projekt, betont Mayr. Um sich mit dem Blick nach unten auf die Steine quasi zu verbeugen. „Und die Namen zu erhalten, damit die Erinnerung niemals verloren geht“.