Gelsenkirchen. Kurz und knackig ist die zehnminütige Mini-Oper „A Hand of Bridge“. Sie wurde in Gelsenkirchens Musiktheater produziert. Zu sehen ist sie online.

Wer eine Oper von Richard Wagner besucht, der muss Sitzfleisch haben. Und viel Geduld. Da dauert eine Aufführung schon mal satte fünf Stunden, bevor der Vorhang endgültig fällt. Wer es deutlich kürzer und knackiger mag, der ist bei der Premiere von Samuel Barbers Musikdrama „A Hand of Bridge“ genau richtig. Das Musikdrama des US-amerikanischen Notensetzers (1910-1981) ist eine der kürzesten Opern der Welt: Nach knapp zehn Minuten ist alles vorbei. Das Opernstudio NRW feiert mit dieser am Musiktheater im Revier produzierten Mini-Oper am Samstag, 4. Juli, um 19.30 Uhr Premiere.

Und noch ein Vorteil dieses Minuten-Vergnügens: Die Zuschauer können es auf dem heimischen Sofa genießen. Denn das Opernstudio zeigt die Produktion wegen der Corona-Pandemie nicht live auf der Bühne, sondern als erste Internet-Aufführung. Die Inszenierung, von der Videokünstlerin und Bühnenbildnerin Julieth Villada im Ballettsaal des Musiktheaters gedreht, bildet den Abschluss der Spielzeit für vier Mitglieder der Talentschmiede Opernstudio.

Vernetzte Menschen, die aber nicht wirklich miteinander kommunizieren

Die vier verschiedenen Opernsänger standen nie gemeinsam auf der Bühne.
Die vier verschiedenen Opernsänger standen nie gemeinsam auf der Bühne. © MiR | Anna Chernomordik

Das Thema des 1959 uraufgeführten Mini-Dramas passe perfekt in diese Zeit, meint Regisseurin Tanyel Bakir. „Es geht um Menschen, die wunderbar vernetzt sind, aber nicht wirklich miteinander kommunizieren.“ Sprachlosigkeit, Vereinzelung und Einsamkeit bewegten die Menschen auch in diesen Krisentagen.

Samuel Barber setzt vier Menschen zu einer Partie Bridge an einen Tisch. Zwei Paare, deren Lebensentwürfe alle in eine Sackgasse laufen. David wünscht sich die gleiche Macht, die sein Chef besitzt. Seine Frau Geraldine sehnt sich nach bedingungsloser Liebe, während ihr Ex-Geliebter schlicht nach ungezügelter Lust giert. Und Sally träumt von Geld im Überfluss. Beim Spiel bricht das fragile Kartenhaus irgendwann zusammen.

Vier Opernsängerinnen und -sänger aus vier verschiedenen Nationen

Die vier jungen Opernsänger Daegyun Jeong, Wendy Krikken, Adam Temple-Smith und Etienne Walch verleihen diesen Befindlichkeiten in inneren Monologen musikalisch Ausdruck. Bakir: „Zu sehen sind Figuren in emotionaler Isolation. Wir verbinden das mit unserer heutigen digitalisierten Gegenwart, in der wir ständig verbunden und oft doch vereinzelt sind.“

Das Ensemble kommt aus vier unterschiedlichen Nationen: aus den Niederlanden, Großbritannien, Südkorea und Deutschland. Robin Philips, der künstlerische Leiter des Studios, feilte für die Mini-Oper sogar an der Aussprache der Protagonisten und ließ sie in amerikanischem Englisch unterrichten: „Super gut singen können die alle, aber dieses Sprach-Coaching für Barber war neu und spannend.“ Da wurden die Karten noch mal neu gemischt.

Ein Werk aus Videokunst, Film und Theater

Die vier Sänger standen übrigens nie gemeinsam vor der Kamera. „Jeder hat allein geprobt und einzeln gedreht“, erklärt die Regisseurin das Konzept. Eine wichtige Rolle spielen Lichtdesign und Kameraführung. Der Rest ist Schnitttechnik: „So entsteht ein künstlerisches Werk aus Videokunst, Film und Theater.“ Regisseurin und Dramaturgin versprechen ein faszinierendes Produkt in einer Mischung aus realen und surrealen Momenten: „Das hat richtige Sogwirkung.“ Die Kostüme von Julieth Villada seien modern und zeitlos, die Bühnenoptik erinnere an Brechtsche Ästhetik.

Dramaturgin Anna Chernomordik ist sicher, dass die Pilot-Produktion nur der Anfang eines neuen Formats am Musiktheater im Revier sein wird, auch jenseits von Corona: „Diese Internet-Oper wird keine Eintagsfliege bleiben. Wir wenden uns auch in Zukunft gezielt an ein Online-Publikum und orientieren uns an die Rezeptionsgewohnheiten gerade junger Menschen im Netz.“

Und auch, wenn die Oper in nur wenigen Minuten wieder vorbei ist, sagt Studio-Leiter Philips: „Es ist ein vollständiges, tiefes Werk. Man bräuchte keinen Ton mehr, um diese Geschichte zu erzählen.“

Hier können Netznutzer die Oper miterleben

Die erste Online-Oper des Musiktheaters feiert am Samstag, 4. Juli, um 19.30 Uhr Premiere. Das neue digitale Format wird zu sehen sein auf mir.ruhr/alternativ oder auf opernstudio-nrw.de und den Social-Media-Kanälen des MiR. Außerdem wird die Produktion „A Hand of Bridge“ am Sonntag, 12. Juli, um 20.04 Uhr im Hörfunk auf WDR 3 zu erleben sein. Das Opernstudio NRW für junge Talente ist eine Kooperation der vier Opernhäuser in Gelsenkirchen, Essen, Dortmund und Wuppertal.