Bulmke-Hüllen. Das NRW-Gesundheitsministerium hebt die Kontaktbeschränkungen in Pflegeeinrichtungen weiter auf. In Gelsenkirchen geht in St. Anna die Angst um.

Würde er lächeln, könnte man es nicht sehen unter der Maske. Aber Michael Lork, der Leiter im Haus St. Anna, lächelt derzeit ganz bestimmt nicht. Nachdem er in wenigen Sätzen zusammengefasst hat, was seit dem 1. März im Zuge der Corona-Beschränkungen passiert ist, kommt er – deutlich, aber beherrscht – zur Kritik. Und die richtet sich ausschließlich „an die Kommunikation mit Düsseldorf, mit der Politik“.

„Wir haben die soziale Isolation vermeiden können, wir schützen unsere Mitarbeiter und Pflegekunden“, stellt er für die Caritas Pflege- und Senioreneinrichtung fest. „Das ist ein ständiger Spagat.“ An der Märkischen Straße seien als einer der ersten Einrichtungen Besucherecken eingerichtet worden, als davon noch keine Rede war, seien Briefe vermittelt worden und Skype-Telefonate zwischen Bewohnern und Angehörigen, und Aktionen auf der Terrasse, etwa mit Opernsängern des Musiktheaters. „Unsere Leute sind nie isoliert gewesen“, wendet er sich deutlich gegen Kritik von außen, „zufriedene Menschen sind nicht laut“, ist seine Begründung.

„Aber es kommt gefühlt alle zwei Tage eine neue Verordnung aus Düsseldorf, dabei sind wir hier selbst schon weiter“, schildert Lork. „Wir fühlen uns fremd bestimmt und vor allem: nicht ernst genommen.“

120 Bewohner in der höchsten Risikogruppe

Das Caritas-Haus St. Anna in Gelsenkirchen bietet 120 Pflegekunden Raum.
Das Caritas-Haus St. Anna in Gelsenkirchen bietet 120 Pflegekunden Raum. © WAZ | Uli Kolmann

Beim Rückblick auf den Muttertag runzelt er die Stirn: „Das hat uns drei Tage Arbeit gekostet“, erklärt er, was bei den Lockerungen zum zweiten Sonntag im Mai passierte, und fragt rhetorisch: „Warum hört man nicht auf uns? Das geht so einfach nicht.“ Ein ähnliches Durcheinander erwartet Lork mit den neuerlichen Lockerungen.

„Die soziale Teilhabe wird stärker gewichtet als die Sicherheitsvorgaben“, führt er aus, und verweist auf den Kern seiner Sorgen und der seiner Mitarbeiter: 120 Bewohner der höchsten Risikogruppe. „Wenn unsere Pflegekunden bis zu sechs Stunden außerhalb der Einrichtungen sein dürfen, Angehörige zweimal am Tag eine Stunde zu Besuch kommen können – wie soll das gehen? Das zu organisieren ist unrealistisch“, lautet sein Fazit.

Es gilt: Vorrang für die Sicherheit

Allerdings, und da werden die Stirnfalten bei Michael Lork glatter, „gehen sie tatsächlich eher wenig raus“. Für die Mitarbeiter und die Leitung lautet die Vorgabe immer: „Was können wir machen?“ Und das Echo bei Bewohnern wie Besuchern zeige, dass es richtig sei, der Sicherheit den Vorrang zu geben. „Denn wir kriegen ab dem ersten Infektionsfall hier in der höchsten Risikostufe ein Riesenproblem“, warnt Lork. Er ist deshalb stolz, sagen zu können, dass es bislang noch keinen Fall in den hiesigen Caritas-Einrichtungen gegeben habe.

„Wir haben jetzt drei Monate bald täglich auf den GAU, den größten anzunehmenden Unfall, gewartet“, schildert er die Stimmung, „und wir haben trotzdem immer gute Arbeit geleistet“. Aber die Virulenz des Covid-19-Virus sei weit höher als bei anderen Infektionskrankheiten. Lork bleibt skeptisch, die Urlaubszeit müsse erst abgewartet werden.

Festgestellt habe man in St. Anna jedenfalls, und das mit großem Dank ans eigene Haus, „dass die Bewohner vernünftiger sind als viele Menschen draußen“. Das sei klar zu sehen daran, dass sich zweimal Besucher regelrecht ins Haus geschlichen hätten. „Das ist respektlos“, unterstreicht auch Christoph Lammerding, der am Empfang die Besuchsdienste koordiniert. „Immerhin müssen wir hier niemanden frei lassen, wie manche meinen. Hier sind doch keine Gefangenen.“ In schwierigen Fällen habe man sich abgestimmt und Ausnahmen machen können.