Der Fortschritt ist eine Schnecke. Doch in der Bilanz bewegt die Politik in Gelsenkirchen mehr als man meint. Ein Kommentar von Jörn Stender.

Das war es nun also: Gut sieben Sitzungsstunden gönnten sich die Parlamentarier zum Ende dieser Legislaturperiode. Es war die 44. Sitzung des 16. Rates der Stadt Gelsenkirchen und die letzte vor der Kommunalwahl. 24 Tagesordnungspunkte und etliche Unterpunkte wurden abgearbeitet. Anfangs höchst zäh – es schien, als ginge es tief in die Nachtstunden, doch dann nahm die Sache doch noch Fahrt auf. Große „Posten“ wurden abgeräumt: Wie das größte Schulprogramm, das die Stadt je aufgelegt hat. Wegweisende Entscheidungen fürs Sublokale wurden gefällt mit Bebauungsplänen für St. Theresia, auch regional zukunftweisendes wurde abgesegnet wie die Planung für die IGA, die Internationale Gartenausstellung 2027. Alles Kerngeschäft der Lokalpolitik mit Entscheidungen vor Ort für die Menschen der Stadt. Dass die selten würdigen oder überhaupt wahrnehmen, wer da für sie arbeitet, debattiert, denkt, streitet, entscheidet, steht auf einem anderen Blatt.

Seit 2015 hat sich das Stadtbild in Gelsenkirchen massiv verändert

Manchmal vergisst man ja selbst als Beobachter, was die Demokratie vor Ort so bewegt, anstößt und realisiert – weil der Fortschritt manchmal eine Schnecke ist, weil demokratische Entscheidungen und deren Umsetzung, oft vom Kostenrahmen eng begrenzt, dauern. Da hilft die Rückschau, ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit, um zu sehen, was sich in wenigen Jahren bewegt hat. Seit 2015 hat sich das Stadtbild massiv verändert – bei der Cityumgestaltung zwischen Neumarkt und Musiktheater, in den Wohn- und Gewerbequartieren Graf Bismarck und Buerscher Waldbogen, durch riesige Firmenansiedlungen in Schalke-Nord und am Schalker Verein. Ückendorf längs der Bochumer Straße ist auf bestem Weg, sein Image als Problemviertel loszuwerden, der Stadtteilpark Hassel ist eine neue Landmarke im Norden. Über 3000 neue OGS-Plätze und 2000 neue Kitaplätze sind in der vergangenen Dekade entstanden. Manch einem wird das alles längst nicht genug sein. Doch es ist eine Bilanz, die Politik und Verwaltung stolz vorzeigen können.

Ohne Regeln funktioniert die Demokratie nicht

Weniger stolz sollte sie machen, welches Bild sie dabei manchmal selbst abgibt. Respekt im Umgang ist im Rat nicht mehr unbedingt an der Tagesordnung. Dafür wird über deren Aufstellung häufig mal länger und weitschweifiger parliert als über die Punkte selbst. Da rauben einige auch trotz langjähriger Ratserfahrung Zeit und Nerven, weil sie Geschäftsordnungen eher als lose Empfehlungen verstehen. Doch ohne Regeln funktioniert die Demokratie nicht. Andere, vornehmlich die am ganz rechten Rand, fallen höchstens durch verbale Giftspritzen und ansonsten durch völlige Untätigkeit auf. Und dann gibt es seit einigen Jahren den Hang, Resolutionen zu verfassen. Sicher kann und soll sich ein Rat positionieren, wenn es um Jobvernichtung, Flüchtlingsnot und Finanzappelle geht. Doch manch einer verwechselt da das Hans-Sachs-Haus mit dem Bundes- oder Landtag. Der Furor? Gewaltig. Einigkeit? Nur noch selten. Die Wirkkraft? Sicher sehr bescheiden.