Altstadt. Zwei Arbeiter kletterten in Gelsenkirchen auf einen Baukran. Sie drohten mit Suizid. Das Duo geriet in Not, wohl weil Löhne nicht gezahlt wurden.

Es war die pure Not, die sie zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat: Die beiden Arbeiter, die am Dienstag auf einer Baustelle an der Sellhorststraße auf einen Kran geklettert waren und gedroht hatten, sich von dort hinab in die Tiefe zu stürzen (wir berichteten), sollen auf diesem drastischen Weg auf die Auszahlung ausstehender Löhne gepocht haben. „Die haben uns erzählt, dass sie seit zwei Monaten kein Geld mehr bekommen haben“, schilderten am Tag danach andere Arbeiter auf der Baustelle im Gespräch mit der WAZ. Einer der Augenzeugen sagte: „Das war eine krasse Situation.“

Diese hatte laut Polizei Gelsenkirchen am Dienstagmittag gegen 12.50 Uhr begonnen. Bei den beiden Männern soll es sich laut WAZ-Informationen um zwei rumänische Trockenbauer (28 und 36) aus Leverkusen handeln, die von der beauftragten Baufirma als Subunternehmer für Arbeiten in der neuen Geschäftsstelle des ADAC Westfalen verpflichtet worden waren. Sie waren auf den Baukran geklettert und hatten sich in rund 20 Metern Höhe verschanzt. „Einer der beiden hat ständig etwas heruntergeschrien. Dann waren auch schnell Polizei und Feuerwehr vor Ort“, berichtete ein anderer Arbeiter.

Verhandlungsexperten der Polizei sprachen über Stunden mit den Männern

Auf diesen Kran waren zwei rumänische Trockenbauer am Dienstag, 16. Juni, geklettert und hatten gedroht, sich in die Tiefe zu stürzen. Im Vordergrund entsteht gerade das Parkhaus, das zum Neubaukomplex des ADAC an der Sellhorststraße in Gelsenkirchen gehört.
Auf diesen Kran waren zwei rumänische Trockenbauer am Dienstag, 16. Juni, geklettert und hatten gedroht, sich in die Tiefe zu stürzen. Im Vordergrund entsteht gerade das Parkhaus, das zum Neubaukomplex des ADAC an der Sellhorststraße in Gelsenkirchen gehört. © Thomas Richter

Im Korb eines Drehleiterwagens wurden dann zwei Verhandlungsexperten der Polizei auf Augenhöhe mit dem Kran-Duo gebracht. Die Gespräche zogen sich lange hin. In dieser Zeit sperrten die Ordnungshüter vorsichtshalber die Sellhorststraße und Teile der Ringstraße komplett ab. An den Sperren versammelten sich zahlreiche Schaulustige, die einen Blick auf den Kran und das Geschehen dort erhaschen wollten. „Wir konnten in der Zeit natürlich nicht weiterarbeiten“, so ein Augenzeuge. Die Baustelle sei aufgrund des Einsatzes quasi für einen halben Tag still gelegt gewesen.

„Unsere Spezialisten haben versucht, die beiden Männer zur Aufgabe zu überreden“, berichtete Polizeisprecher Christopher Grauwinkel am Mittwoch. Das funktionierte aber nicht so schnell wie erhofft. Erst gegen 19.35 Uhr – also nach fast sieben Stunden – kletterten die beiden Rumänen freiwillig vom Kran wieder herunter. Unten angekommen, wurden sie von Polizeibeamten in Gewahrsam genommen. „Gegen beide wird nun wegen Nötigung und Hausfriedensbruch ermittelt“, so Polizeisprecher Grauwinkel. Die Nacht mussten beide im Polizeigewahrsam verbringen, aus dem sie erst im Laufe des Mittwochvormittag entlassen wurden.

Beauftragte Baufirma hat Subunternehmen beschäftigt

An der Sellhorststraße/Ecke Ringstraße in Gelsenkirchen-Altstadt entsteht das Parkhaus, das zum neuen Standort des ADAC Westfalen gehört. Diese Aufnahme stammt aus dem März 2020, die Arbeiten sind inzwischen weiter vorangeschritten.
An der Sellhorststraße/Ecke Ringstraße in Gelsenkirchen-Altstadt entsteht das Parkhaus, das zum neuen Standort des ADAC Westfalen gehört. Diese Aufnahme stammt aus dem März 2020, die Arbeiten sind inzwischen weiter vorangeschritten. © Hans Blossey

Bauherr dieser Baustelle ist der ADAC Westfalen. Dessen Sprecher Tobias Scheffel bestätigte am Mittwoch auf Anfrage, dass ein Vertrag mit dem Trockenbauer Angerland Akustik Bau mit Sitz in Ratingen abgeschlossen wurde. „Und mit diesem Unternehmen gibt es von unserer Seite keine offenen Rechnungen“, sagte Scheffel. Auf telefonische Anfrage bei der Firma Angerland bestritt eine Mitarbeiterin, dass es Ausstände mit dem Subunternehmer geben würde. „Wir haben gezahlt“, so die Dame kurz und knapp.

Den Vorfall auf der Baustelle, wo derzeit zum Gebäudekomplex gehörende Parkhaus errichtet wird, bezeichnete Scheffel als „bedauerlich und extrem ärgerlich“. Man würde ausschließlich mit Firmen zusammenarbeiten, die den Mindestlohn zahlen und sich an die ethischen Standards halten. „Wir müssen jetzt prüfen, ob hier ein Fall von Vertragsbruch vorliegt“, kündigte der ADAC-Sprecher an.

ADAC Westfalen investiert elf Millionen Euro am Gelsenkirchener Standort

Zudem wollen der Bauherr und der von ihm beauftragte und in Buer ansässige Architekt Christian Schramm das zum Anlass nehmen, um noch einmal das Gespräch mit allen Vertragspartnern zu suchen. „Wir haben mit allen Baufirmen vertraglich gewisse Standards festgelegt. Diese müssen dann aber auch ihrerseits eingehalten werden“, so Scheffel.

Insgesamt rund elf Millionen Euro investiert der ADAC Westfalen in den neuen Standort in der Altstadt. Dort soll die neue Geschäftsstelle und das Prüfzentrum des Automobilclubs entstehen. Spätestens bis Ende des Jahres soll alles fertig sein und das 20-köpfige Team vom bisherigen Standort an der Daimlerstraße in Erle in die City umziehen. Man plane an der neuen Adresse, an der auch eine Filiale der Deutschen Bank einziehen wird, mit derselben Teamgröße wie bisher, versicherte der ADAC-Sprecher.