Gelsenkirchen. Ein neu beschlossenes Gesetz soll Planverfahren in der Corona-Krise erleichtern. Gegner der Deponie-Erweiterung in Gelsenkirchen schlagen Alarm.
Im Schatten von Covid-19 tritt ein neues Gesetz in Kraft, das Planungsverfahren während der Cororona-Krise vereinfachen soll. Bürgerinitiativen laufen dagegen Sturm, sie sehen ihre demokratischen Rechte beschnitten. Betroffen vom Gesetz ist auch die beantragte Erweiterung der umstrittenen Zentraldeponie Emscherbruch. Deren Betreiber, die Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet (AGR), sieht in dem Gesetz aber keinerlei Einschränkung von Bürgerrechten.
Das neue Gesetz, Planungssicherstellungsfeststellungsgesetz (PlanSiG) genannt, sieht vor, dass mündliche Erörterungstermine in Verfahren mindestens bis zum 31. März 2021 durch "Online-Konsultationen" ersetzt werden. Alternativ sollen auch Telefon- beziehungsweise Videokonferenzen möglich sein.
Für die Bürgerinitiative Uns stinkt’s (BI), die Gegner der Deponie-Erweiterung vertritt, bedeutet das, "dass damit Antragstellern die Möglichkeit geboten wird, nach einer Offenlegung ihrer Unterlagen im Internet auf die sofortige Genehmigung hinzuwirken, da eine Online-Erörterung im bisher gewohnten Umfang nicht durchzuführen ist“, sagt BI-Sprecher Heinz-Peter Jäckel.
Der ehemalige Ingenieur hat Zweifel, ob die Bezirksregierung Münster in der Corona-Krise „dazu personell und technisch in der Lage ist“ – gegen das Erweiterungsverfahren waren bei der Behörde die Unterschriften von mehr als 1000 Gegnern eingegangen, worauf der erste von zwei Erörterungsterminen in der Emscher-Lippe-Halle stattfand.
Bundesverband: Defizite aufzudecken, ist nicht mehr möglich
Unterstützung bekommt die Bürgerinitiative von Oliver Kalusch, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Seiner Meinung nach wird die Corona-Krise dazu benutzt, die Interessen der Industrieverbände zu befriedigen. „Online-Konsultationen bedeuten die Bekanntgabe schon veröffentlichter Informationen. Dazu können die Einwendenden noch einmal Stellung nehmen. Genau dies ist beim laufenden Verfahren zur Zentraldeponie Emscherbruch sehr wahrscheinlich.“
Kalusch zufolge fällt durch das Gesetz eine echte Debatte zwischen Antragsteller, Einwendenden und Sachverständigen aus. „Damit ist es den Betroffenen nicht mehr möglich, Defizite des Vorhabens herauszuarbeiten, eine Ablehnung durch die Behörde zu bewirken oder weitreichende Nebenbestimmungen herbeizuführen“, so der BBU-Vorsitzende. „In der Folge werden Anträge durchgewinkt. Damit wird eine jahrzehntelange Partizipationskultur handstreichartig vom Tisch gewischt.“
Die Bezirksregierung Münster hat sich zum Fortgang des Verfahrens und zur Kritik der Bürgerinitiativen bislang nicht geäußert. Es stehe dazu noch eine Antwort des zuständigen Fachdezernats aus, teilte die Bezirksregierung mit. Grundsätzlich gilt: Das weitere Verfahren legt Münster fest. Die Behörde entscheidet, ob es einen zweiten Erörterungstermin – gegebenenfalls per Online-Konsultation – gibt.
Geäußert zur Kritik hat sich die AGR über ihren Sprecher Jürgen Fröhlich. Dessen Antwort deckt sich in Teilen mit dem Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (Drucksache 19/19214): „Mit dem PlanSiG werden für eine Vielzahl von Planungs- und Genehmigungsverfahren Instrumente zur Verfügung gestellt, die sicherstellen, dass auch unter den erschwerten Bedingungen der Covid-19-Pandemie eine ordnungsgemäße Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann.“ Die Einschränkung von Rechten gleich welcher Art sei mit der oben beschriebenen Vorgehensweise nicht verbunden, so Fröhlich weiter. „Die sofortige Genehmigung zu verlangen, sieht das PlanSiG nicht vor.“
Fröhlich verweist auf die Möglichkeit von Online-Konsultationen für den Fall, dass der Erörterungstermin nur unter unzumutbaren Bedingungen durchgeführt werden könnte. „Da im Deponie-Verfahren die Einwendungen von über 1000 Personen unterschrieben wurden, müsste ein Termin auch auf diese Teilnehmerzahl ausgerichtet sein“, so der Sprecher. „Die Durchführung eines solchen Termins widerspräche allerdings dem Gesundheitsschutz.“
Der noch ausstehende zweite Erörterungstermin, auf den sich die Deponie-Gegner seit Wochen vorbereiten, könnte damit zu einer schnellen digitalen Nummer werden.
Vorwurf: Bündnisgrüne verhindern Anhörung von Sachverständiger
Interessant: In der Sitzung des Innenausschusses wurde beschlossen, dass es die sonst übliche Sachverständigenanhörung zu einem neuen Gesetz nicht geben wird. CDU/CSU und SPD lehnten den Antrag der Partei Die Linke dazu ab, Bündnisgrüne und FDP enthielten sich. Damit wurde laut BBU „ausgerechnet das notwendige Quorum von 25 Prozent von einer Umweltpartei verhindert“. Am Abend des 14. Mai 2020 stimmten CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der Bündnisgrünen im Bundestag für das neue Planungsgesetz.
Bislang hat es zur geplanten Deponier-Erweiterung zwei Auslegungstermine der Antragsunterlagen (21. Januar 2019 bis 20. Februar 2019 und 3. September 2019 bis 4. Oktober 2019) und einen dreitägigen Erörterungstermin (9. Juli 2019 bis 11. Juli 2019) in der Emscher-Lippe-Halle gegeben.