Gelsenkirchen. Seit Wochen sind die Kitas geschlossen, Gelsenkirchener Eltern sind im Spagat zwischen Betreuung, Arbeit, Haushalt – und fordern Perspektiven.
Fast auf den Tag genau zwei Monate ist es her, dass die Kindergartenkinder in Nordrhein-Westfalen ein letztes Mal singend, tanzend, tobend, schlicht spielend durch ihre Einrichtung gerannt sind. Am 13. März wurden wegen der Corona-Pandemie die Kindergärten auch in NRW geschlossen. Ein Leben zwischen Erziehung, Betreuung, Arbeit, Haushalt, dem Homeoffice: Wie stellt sich derzeit die Situation für Gelsenkirchener Eltern dar?
Auch in Gelsenkirchen wird der Druck auf die Eltern immer größer
Neun Wochen nach der Schließung der Kindertagesstätten und auch der weiteren Betreuungsangebote wird der Druck auf die Eltern immer größer: „Sie werden derzeit weder ihren Kindern, noch ihrem Job, noch sich selber gerecht“, weiß Svenja Streich, Vorsitzende des Jugendamtselternbeirates Gelsenkirchen. Das Gremium vertritt die Interessen von Müttern und Vätern all der Kinder, die eine Kindertageseinrichtung in Gelsenkirchen besuchen. „Die Nerven liegen blank, es gibt keine Perspektive“, fügt Svenja Streich hinzu.
Mittlerweile gibt es eine Notbetreuung für 940 Kindern in dieser Stadt. Bis Ende Mai, genauer dem 28. Mai, sollen nach dem Stufenplan des NRW-Familienministeriums 800 bis 900 Vorschulkinder stadtweit hinzukommen.
Vorschulkinder mit besonderem Förderbedarf können jetzt wieder in die Kita
Seit dem 14. Mai können bereits alle Vorschulkinder mit einem besonderen Förderbedarf (sie haben eine Anspruchsberechtigung nach dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT)) wieder ihre Einrichtungen besuchen. Gleiches gilt für alle Kinder mit Behinderungen. Auch die Kindertagespflegestellen betreuen wieder alle Kleinkinder ab zwei Jahren.
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Und was ist mit dem Rest? Anfang des Monats prognostizierte das NRW-Familienministerium noch, dass es für sie kein verlässliches Betreuungsangebot bis zu den Sommerferien geben könnte. Nur die Aussicht auf zwei Betreuungstage ab Juni – damit die Kinder ihre Erzieher und die Einrichtung überhaupt noch einmal vor den großen Ferien sehen. Selbst für September konnte die Landesregierung zunächst nur „einen eingeschränkten Regelbetrieb“ als Ziel ausgeben.
„Wir brauchen Mütter und Väter in ihren Jobs“
„Das halte ich für untragbar“, sagt Svenja Streich. „Kinder sind unsere Zukunft, sie und ihre Eltern sind systemrelevant und von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind wir derzeit weit entfernt.“ Gerade mit Blick auf die Situationen vieler Mütter, mit Blick auf ihre Zerrissenheit und ihrer Angst um einen möglichen Job-Verlust in diesen Tagen sagt sie auch: „Wir können uns in Gelsenkirchen nicht eine Mutter mehr leisten, die arbeitslos wird. Wir brauchen die Mütter und Väter in ihren Jobs, in der Wirtschaft. Berufstätige Eltern tragen in vielerlei Hinsicht zum Funktionieren der Solidargemeinschaft in der Stadt bei und sind ein elementarer Teil des Wirtschaftskreislaufs.“
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So fordert Svenja Streich beispielsweise auch eine trägerunabhängige Fachstelle zur Bewertung der Unabkömmlichkeitserklärungen hinsichtlich des Notbetreuungsanspruches und eine Form von Kündigungsschutz für Eltern – um ihnen „den Druck des Jobverlustes zu nehmen“. Des Weiteren betont sie, dass Homeoffice mit Kleinkindern keine Zeit der verantwortungsvollen Kinderbetreuung darstellen könne.
In vielen Gelsenkirchener Einrichtungen wurde vieles möglich gemacht
Mitte des Monats dann ein vorsichtiger Hoffnungsschimmer? Im Familienausschuss des Landtags am 14. Mai sagt Joachim Stamp, dass es schon vor September gelingen werde, einen eingeschränkten Kita-Betrieb für alle Kinder anzubieten – früher als geplant.
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Svenja Streich weiß: „In vielen Einrichtungen in Gelsenkirchen wurde vieles möglich gemacht.“ Es fehlten aber klare Richtlinien und Vorgaben, viele Beteiligte fühlten sich alleine gelassen, hätten einen großen Bedarf an Informationen.
„Ich kann die Nöte der Eltern sehr gut nachvollziehen“
Gelsenkirchens Bildungsdezernentin Annette Berg betont: „Ich kann die Nöte der Eltern sehr gut nachvollziehen. Es ist eine sehr herausfordernde Situation. Wir wollen die Eltern nicht im Stich lassen. Wir geben uns wirklich viel Mühe.“ Aus den Einrichtungen heraus würden viele Familien begleitet, wären ganz kreative Ideen entstanden.
Das Wichtigste sei aber, allen Beteiligten die größtmögliche Sicherheit zu bieten. Den Kindern, ihren Familien, aber vor allem auch den Erziehern und Beschäftigten in den Kitas. Die Stadträtin verweist auf eine Reihe von Angestellten, die derzeit freigestellt sind, weil sie zu Risikogruppen gehören. Aufgrund der Pandemielage müsse eine sehr harte Abwägung stattfinden. Ein weiteres Problem: Die geforderte Aufteilung der Kindergartengruppen in weitere Kleingruppen ist vielerorts aufgrund der räumlichen Kapazitäten kaum möglich.
Öffnung der Spielplätze ist kein Ersatz für frühkindliche Förderung
Svenja Streich appelliert: „Ganz viele Kinder werden im Moment vergessen.“ Da helfe auch nicht, dass nun schon seit einigen Tagen die Spielplätze wieder geöffnet sind. Das sei mit dem Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung und Förderung, garantiert durch einen Betreuungsplatz in den Einrichtungen und bei den Tagespflegepersonen, nicht zu vergleichen. Die zweifache Mutter sieht als einen zentralen Punkt: Aufklärungsarbeit. Den Hinweis: „Das sind die Gefahren“. Und dann die Beantwortung der Frage: „Ist das wirklich noch verhältnismäßig?“
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