Gelsenkirchen. Die ersten Lockerungen in der Corona-Krise treten ab Montag in Kraft. Gelsenkirchener Geschäftsleute geben dazu einen Einblick in ihre Situation.

Die anhaltende Corona-Pandemie ist eine Belastung für alle. Wie sind die Gelsenkirchener Betriebe über die Wochen des Lockdowns gekommen und was bedeuten die ersten Lockerungen für den Einzelhandel? Ein Einblick.

„Es tut der Seele gut, am Montag wieder öffnen zu dürfen“, sagt Brigitte Jungmann. Sie, betreibt ein Lederwaren-Traditionsgeschäft für Taschen, Koffer und Accessoires an der Hauptstraße in der Altstadt, es besteht seit 141 Jahren. Sieben Existenzen hängen am Betrieb. Trotz Kurzarbeit und Überbrückungshilfen sei der Druck ungeheuer. „Wir haben versucht, uns mit Online-Handel und Auslieferung innerhalb der Stadt über Wasser zu halten, aber das ist asehr schwer“, sagt Jungmann.

Mit Kurzarbeit und Hilfsgeldern den Lockdown überbrückt

Die Anlieferung bestellter Waren wurde nach hinten verschoben, um die Ausgaben zu verkleinern, das aber kann die Verluste kaum aufwiegen. „Das Geschäft mit Schulranzen, zu Ostern ein beliebtes Geschenk“, so Jungmann, „ist weggebrochen.“ Vielleicht, so hofft sie, kann der Verkauf von Koffern Richtung Sommer für etwas Ausgleich sorgen – ob Reisen dann überhaupt möglich seien, stehe aber noch in den Sternen. Am Montag startet Brigitte Jungmann mit einer Mitarbeiterin den Geschäftsbetrieb. Mundschutz, Desinfektion und begrenzter Zutritt begleiten die vorsichtige Rückkehr zur Normalität.

Kritik an den uneinheitlichen Corona-Beschränkungen

Stephan Wilp vom gleichnamigen Floristik-Geschäft und Ruth Hohmann vom Fachgeschäft für Halogenbeleuchtung und LED Halogenial (Ahstraße, Alter Markt - Altstadt) öffnen ebenfalls ihre Türen. Sechs Menschen sind bei Wilp vom Betrieb der zwei Läden abhängig, drei bei Halogenial. Das Blumengeschäft hätte zwar während des Lockdowns öffnen dürfen, doch die Angst vor der Ansteckung mit Corona war größer. „Vorsichtshalber haben wir uns auf den Werkstattbetrieb beschränkt“, sagt Stephan Wilp. Kurzarbeit und Staatshilfen waren für ihn und seine Frau Heike die Mittel in der Not. Das Paar verspricht sich von der Öffnung wieder mehr Einnahmen.

Skepsis, Sorge und Unverständnis überwiegen bei Ruth Hohmann, denn ihr Fachgeschäft „lebt von der Montage.“ Die wochenlange Pause „hat uns total getroffen“, sagt die Unternehmerin. Das Online-Geschäft über Instagram, WhatsApp und andere digitale Kanäle habe kaum etwas auffangen können. Auch Hohmann hat Kurzarbeit und staatliche Hilfen in Anspruch genommen.

Die Unternehmerin kritisiert, dass es kein einheitliches Konzept in der Corona-Krise gebe. „Mir wurde der Türverkauf untersagt, das Floralstudio nebenan, ähnlich groß wie wir, durfte aber öffnen“, klagt sie. Da werde mit zweierlei Maß gemessen. Und weil Baumärkte in den ersten Krisenwochen geöffnet hatten, sei viel potenzielle Kundschaft abgewandert. „Ich wünsche mir daher einheitliche Regelungen für alle“, sagt die Geschäftsfrau.

Buchhändler bedanken sich für Zuspruch und Treue

„Wir freuen uns sehr, dass wir ab Montag wieder öffnen dürfen“, sagt Christina Njehu, die Filialleiterin der Buchhandlung Kottmann in der Altstadt. Das Mitarbeiterteam soll dann Mundschutz tragen, Desinfektionsmittel wird bereitgestellt. Alle Mitarbeiter seien sehr gerührt gewesen, wie viele Kunden in der Phase der Ladenschließung vom Angebot des Lieferservice Gebrauch gemacht hätten. „Wir hatten das Gefühl, dass viele Stammkunden extra mehr als sonst bestellt haben, um uns in dieser schwierigen Phase zu unterstützen“, sagt die Filialleiterin.

„Wir sind erleichtert und freuen uns auf die persönlichen Gespräche mit unseren Kunden“, sprudelt es aus Sabine Piechaczek heraus. Die Inhaberin der Buchhandlung Junius in der Altstadt will zusätzlich am bisher geltenden Lieferservice-Angebot festhalten: „Denn viele unserer Kunden gehören zur Risikogruppe und wollen aus Sicherheitsgründen ihre Wohnung nach wie vor nicht verlassen.“ Maximal sechs Kunden wird sie gleichzeitig in ihr rund 120 Quadratmeter großes Ladenlokal an der Sparkassenstraße hineinlassen. Besonders gefreut hat sich ihr Team über den großen Zuspruch, den die Kundschaft mit Botschaften wie „Haltet durch und bleibt gesund“ in den Zeiten der Schließung übermittelt hatte. Dennoch müsse man nun trotz dieses ersten Schrittes zurück in Richtung Normalität weiter gemeinsam achtsam bleiben: „Corona ist noch nicht überstanden!“

Die alteingesessene Pizzeria Trulli, ein Zehn-Personen-Betrieb mit vielen Stammkunden, versucht, sich mit „Abhol- und Lieferservice durchzuschlagen“, sagt Elke Kanschat. Das klappe aber mehr schlecht als recht, die Umsätze seien auf zehn bis zwanzig Prozent des früheren Niveaus abgesackt. Urlaub, Kurzarbeit und Corona-Sofortgelder helfen zwar weiter, berichtet sie und auch die beantragten Stundungen bei Krankenbeiträgen oder Lohnsteuer würden dazu beitragen, die Kosten zu senken. „Das allein reicht aber kaum“, so Kanschat. „Da muss man schon an das Ersparte gehen.“ Ihre Prognose: Lange durchhalten lässt sich die Situation kaum, vielleicht noch vier bis sechs Wochen.

Sorge über ansteigende Infektionszahlen und erneute Schließungen

„Sehr froh“ darüber, dass er sein Damenmodegeschäft am Montag wieder öffnen darf ist Roman Schmitz. Denn hinter dem Vorsitzenden der City-Initiative liegen einige harte Wochen. Obwohl er neben dem Laden einen Onlineshop für seine Mode betreibt, sind die Einnahmen, vor allem in der zweiten Märzhälfte, nahezu komplett weggebrochen, berichtet er. Deshalb hat er sehr früh Hilfen von der Landesregierung beantragt und diese auch „ziemlich unbürokratisch“ erhalten.

Ob die Finanzspritze für ihn und andere Betroffene am Ende ausreichen wird, um durch die Krise zu kommen, weiß Schmitz jedoch nicht. „Aktuell ist keine Planung möglich. Niemand weiß, ob Läden in einigen Wochen eventuell wieder schließen müssen. Da viele Menschen gerade in Kurzarbeit sind, ist nicht absehbar, wie sich das Verbraucherverhalten bis zum Herbst entwickeln wird“, fasst er zusammen. Sorgen, die andere Selbstständige in Gelsenkirchen teilen: „Im Kollegenkreis ist die Stimmung sehr bedrückt.“

Lob und Kritik an der Umsetzung der Corona-Hilfen

Licht und Schatten in Sachen Corona-Soforthilfe gibt es bei den Gastronomen im Stadtnorden: Da ist etwa Christoph Klug, Inhaber der Kneipe "Lokal ohne Namen" (LoN) und der Gaststätte "Domgold" in Buer, der ohne Abstriche das Tempo lobt, mit dem das Land das Geld vier Tage nach Beantragung ausgezahlt habe. Nachdem er seinen Aushilfen kündigen musste, erhalten seine zwei Festangestellten Kurzarbeitergeld, das er mit Hilfe der NRW-Soforthilfe bezahlt. "Der Rest geht für die Pacht, laufende Betriebskosten und natürlich Kredite drauf."

Da ist aber auch Johannes Möller, der mit seiner Schwester Barbara das Restaurant "Zum Hexenhäuschen" in Buer betreibt - und über massive Verzögerungen bei der Auszahlung klagt. 14 Festangestellte beschäftigt das Duo, davon drei Auszubildende, die sechs Wochen lang ihr volles Gehalt zu bekommen haben. "Die anderen sind in Kurzarbeit; den acht Aushilfen haben wir nicht gekündigt, wir hoffen ja, dass es bald weitergeht", betont Barbara Möller.

Möllers Sorge ist, dass die Gastronomien bis weit in den Mai hinein nicht öffnen dürfen. "Schon jetzt haben wir durch das Entgegenkommen der Bank unseren Dispo ausgereizt, um Pacht, Gehälter, Betriebskosten und Leasingraten zu zahlen. Wenn die Soforthilfe da ist, ist sie sofort schon wieder weg, um den Dispo zu decken. Und nächsten Monat tut sich wieder ein neues Loch auf."

"Domgold"-Betreiber Klug ist ebenfalls unsicher, ob die Soforthilfe noch bis Mai reichen wird. "Falls die Schließungen anhalten, wird die Regierung wohl ein zweites Hilfspaket auflegen müssen."

City-Managerinnen froh über die vorsichtige Rückkehr zur Normalität

Gelsenkirchens City-Managerinnen Angela Bartelt und Aylin Gimmerthal (Buer) freuen sich über die Lockerungen. „Die Wiedereröffnung der kleineren Geschäfte bedeutet eine große Entlastung für die Händler. Vor allem für die kleineren, privatgeführten Läden waren die vergangenen Wochen existenzgefährdend“, sagt Aylin Gimmerthal. Gerade in der Bueraner Innenstadt zählten viele Geschäfte dazu.

„Für die Entwicklung des stationären Einzelhandels ist es sehr wichtig, die ersten Geschäfte langsam wieder zu öffnen“, erklärt Angela Bartelt. „Wir hoffen, dass auch bald die größeren Geschäfte nachziehen dürfen.“ Die Bahnhofstraße bestehe aus vielen größeren Geschäften, wie etwa TKMaxx, Primark, Kaufhof, C&A und viele mehr, die bisher noch nicht von der Entscheidung betroffen sein.

Bartelt hat erfreut festgestellt, dass sich „der Handel in der City ideenreich, solidarisch und gemeinschaftlich verhält". Im Blick hat Bartelt beispielsweise die Aktion „Gelsenheld“. Über gelsenheld.de können Lokale, Geschäfte, Kultureinrichtungen, Kleinstbetriebe oder Solo-Selbstständige Gutscheine verkaufen, die später eingelöst werden können sobald die Betriebe wieder geöffnet sind.

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