Gelsenkirchen. Das Drama von Erfurt ist auch Gesprächsthema in Gelsenkirchen. Gegenwind bekommt vor allem einer: Marco Buschmann, FDP-Mann der ersten Reihe.
Thüringen und die Folgen: Das Erdbeben in Erfurt schüttelte auch manchen Lokalpolitiker in Gelsenkirchen durch – besonders Marco Buschmann, hiesiger FDP-Bundestagsabgeordneter und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion.
Am Wahlabend verbreitete Buschmann dieses Statement: „Thomas Kemmerich ist gegen Linkspartei und AfD angetreten, damit es eine Chance für die politische Mitte gibt. Sein Wort steht, dass er jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt. Daher sind jetzt alle Demokraten im Thüringer Landtag gefordert, pragmatisch im Sinne des Landes zu handeln.“
Donnerstag dann die Wende. „Herr Kemmerich muss vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten und den Weg frei machen“, wurde Buschmann früh vom „Stern“ zitiert. Gegenüber der WAZ erklärte er: „Thomas Kemmerich hat erkennen müssen, dass eine Regierung der Mitte in Thüringen nicht möglich ist. Der Weg dahin war schmerzhaft, sein Rücktritt nun konsequent. Für die Freien Demokraten gab, gibt und wird es niemals eine irgendwie geartete Kooperation mit der AfD geben.“
Für den SPD-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Markus Töns zeigt sich in Thüringen, „dass die Parteivorsitzende der CDU ihre Partei nicht im Griff hat. Dort ist heilloses Chaos ausgebrochen.“ Von der FDP, vor allem aber vom Gelsenkirchener liberalen Kreisvorsitzenden Buschmannn zeigt er sich „zutiefst enttäuscht, dass seine Partei so einen Dammbruch zulassen kann. Dafür habe ich null Verständnis.“ Zumindest den Schritt Kemmerichs, sein Amt nicht anzutreten, sieht er „als den richtigen Weg. Aber leider kommt er damit zu spät. Man lässt sich von Nazis nicht wählen, man lässt sich auf solch ein Spiel nicht ein.“
Auch für den SPD-Fraktionschef Klaus Haertel steht fest: Marco Buschmann hat sich mit seiner Einschätzung Mittwoch selbst disqualifiziert und sollte die entsprechenden Konsequenzen ziehen.“ Dass im Laufe des Donnerstags der „Druck offenbar groß“ war, glaubt Haertel. Nicht das Ministerpräsidentenamt anzutreten, sei für den liberalen Thüringer Landeschef letztlich „das Mindeste gewesen“ was in solch einer politischen Situation fällig wäre.
In Ton und Einschätzung liegt der Sozialdemokrat hier mal deckungsgleich mit dem grünen Fraktionsvorsitzenden Peter Tertocha: „Das ist das Einzige, was er jetzt tun kann und machen sollte.“
Tertocha und die grüne Vorsitzende und Spitzenkandidatin Adrianna Gorczyk schlagen – im Kommunalwahljahr – den Bogen in die Lokalpolitik: „Die Geschehnisse in Thüringen zeigen, dass das scheinbar Unmögliche wieder möglich wird: Der demokratische Zusammenhalt kann ausgehebelt werden. Deshalb erwarten wir Grüne von der FDP Gelsenkirchen und der CDU Gelsenkirchen, dass sie klare Kante gegen Rechts bekennen, indem sie sich deutlich zu dem Verhalten ihrer Parteien bei der Wahl in Thüringen positionieren und das Versprechen zum Zusammenhalt der demokratischen Kräfte in Gelsenkirchen öffentlich erneuern.“
Fassungslos über die Geschehnisse in Thüringen zeigen sich auch Vertreter der CDU. „Ich werde alles dafür tun, dass solche Entwicklungen in Gelsenkirchen keine Schule machen“, so Fraktionschef Wolfgang Heinberg.
Und auch der Bundestagsabgeordnete Oliver Wittke ist auch 24 Stunden danach immer noch empört: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass so etwas möglich ist.“ Dabei geht er auch mit seinen Parteifreunden ins Gericht: „Sie hätten sich enthalten müssen.“ Es hätte ihnen klar sein müssen, dass ein solches Szenario drohen könnte. So aber habe die CDU gemeinsame Sache mit der AfD gemacht – „und das ausgerechnet mit Herrn Höcke, das ist der Gipfel“. Wittke begrüßt Kemmerichs Rückzug und hält Neuwahlen für den einzig vernünftigen Weg.
Das sieht Gelsenkirchens CDU-Chef Sascha Kurth genauso – nur so käme man zurück „zu geordneten politischen Verhältnissen“. Der Vorgang selbst habe auch ihn empört, auch wenn er durchaus ein Dilemma für die CDU-Abgeordneten erkennt: Mit einer Enthaltung hätten sie schließlich einem Linken-Politiker ins Amt verholfen. Dabei lehne die CDU beide Parteien, AfD und Linke, ab. „Wir sind die letzte Partei, die eine klare Brandmauer hat: Keine Zusammenarbeit mit rechten und linken Extremisten. Das ist unser Markenzeichen.“
Das sagt die Linke
Opfer des Dramas von Erfurt ist in erster Linie die Linkspartei geworden. Deren Gelsenkirchener Fraktionsvorsitzender und OB-Kandidat Martin Gatzemeier sagt: „Die Ereignisse von Thüringen sollten uns eine Lehre sein. Es ist offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr, dass demokratische Kräfte geschlossen gegen die AfD stimmen.“
Im am Donnerstag angekündigten Rücktritt von Thomas Kemmerich sieht Gatzemeier Schadensbegrenzung und zitiert mit Blick auf die FDP Friedrich Schiller: „Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb.“ Dass es jetzt zur Neuwahlen kommen soll, begrüßt Gatzemeier.