Gelsenkirchen. Seit knapp 14 Tagen gilt die neue Bonpflicht. Die meisten Gelsenkirchener Kunden wollen die Kassenzettel nicht. Ein Biomarkt in Buer wehrt sich.
„Möchten sie den Bon haben?“, fragt Sadegöl Akis den Herrn im dunkelblauen Monteuranzug, der da gerade einen Döner bei ihr bestellt hat. Der schüttelt nur den Kopf. Nach dieser stummen Form der Ablehnung knüllt die Mitarbeiterin des türkischen Restaurants „Bizimmangal“ am Rande der Ebertstraße in der City den Beleg zusammen. Und schmeißt ihn in den Papierkorb. Dort landen etwa 80 Prozent der von ihr ausgedruckten Kassenzettel. So viele, wie in zahlreichen anderen Gelsenkirchener Geschäften auch. Die seit 1. Januar geltende Bonpflicht erhöht nicht nur die Steuergerechtigkeit. Sondern auch das Müllaufkommen.
Vor knapp zwei Wochen trat das neue Kassengesetz 2020 des Bundesfinanzministeriums in Kraft. Seitdem muss jeder Händler seinen Kunden für jeden Einkauf ein Kassenbon ausstellen – und sei es auch nur ein einzelnes Brötchen, das da gerade über die Ladentheke gegangen ist. Der Aufschrei im Vorfeld war riesig. Lobbyisten sprachen von einem „Bürokratiemonster“, zahlreiche Innungssprecher machten ihrem Unmut frühzeitig Luft. Zeit also, um sich nun hinein ins reale Getümmel zu stürzen, um Händler und Kunden nach ihren bisherigen Erfahrungen zu befragen.
Fast alle ausgedruckten Bons landen in der Mülltonne
In der Filiale der Bäckerei Gatenbröcker im Iduna-Hochhaus in der Altstadt ist viel zu tun. Zum Testkauf bestellen wir ein Brötchen. Das kostet 35 Cent. Verkäuferin Stefanie Kroonen, die seit drei Jahren dort arbeitet, überreicht uns ordnungsgemäß den Kassenzettel. Darauf ist deutlich zu erkennen, dass Vater Staat dank dem hier geltenden 7-prozentigen Mehrwertsteuersatz soeben 2 Cent mitverdient hat. „In den ersten Tagen hat gefühlt nur einer von 50 Kunden den Bon mitgenommen“, sagt Kroonen. Der Rest landete im Müll. „Wer vorher einen Bon wollte, der hat uns einfach danach gefragt. Jetzt landen die fast alle in der Tonne.“
Walter Altgen aus Schalke kauft in der Bäckerei gerade ein. Er lässt sich seinen Bon aushändigen. Das Verständnis für diese Gesetzesänderung sei auf der einen Seite groß. „So kann man vorbeugen, dass die schwarzen Schafe unter den Händlern weiter betrügen“, sagt der in Schalke lebende Kunde. Andererseits versteht er auch die Argumente der Händler. „Vielleicht sollte die Bonpflicht nicht für jeden Kleinstbetrag, sondern erst ab einer Mindestgrenze von zehn Euro gelten“, schlägt er vor.
Mehraufwand für alle Bäckereifilialen liegt addiert bei 130.000 Euro
„Wir haben ausgerechnet, dass unser Mehraufwand für die zusätzlichen Kassenrollen bei etwa 130.000 Euro pro Jahr liegt“, sagt Christian Leben, Gesellschafter der Bäckerei Gatenbröcker. Diese betreibt allein in Gelsenkirchen rund 30 Filialen. Addiert man jene in den umliegenden Nachbarstädten hinzu, kommt man auf insgesamt 59, in denen addiert 750 Mitarbeiter beschäftigt sind. Leben sieht in der Bonpflicht zwar auch einen „Beitrag zu mehr Ehrlichkeit und Steuergerechtigkeit“. Doch die jetzt eingeführten Maßnahmen sind ihm viel zu drastisch: „Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“
„Es ist eine Katastrophe. Die meisten Kunden wollen den Bon nicht. Und diejenigen, die ihn mitnehmen, scheißen ihn dann oft verknüllt direkt vor unsere Ladentür“, berichtet eine langjährige Mitarbeiterin des Altstadt-Tabakwarenhändlers Horbach, die namentlich nicht genannt werden will. Das Schlimmste für sie: Bei den Kassenzetteln handelt es sich um Thermopapier. Dies könne nicht umweltschonend übers Altpapier entsorgt werden. Zudem verlängere sich durch das Bonausdrucken jeder Verkaufsvorgang. „Wenn wir den Laden voll haben, hält das auf“, so die Mitarbeiterin. Zudem müsse sie durch das erhöhte Bonaufkommen nun zweimal pro Tag den Ladenmülleimer leeren, statt vorher nur einmal.
„Das ist total paradox: Das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung war noch nie so groß wie jetzt. Und in diesen Zeiten wird ein Gesetz verabschiedet, dass Papiermüllberge produziert – echt Schwachsinn“, ärgert sich Daniel Duda, der in der Altstadt gerade seine Einkäufe erledigt. Er schlendert auch an einer kleinen Trinkhalle vorbei. Dort gibt’s überraschenderweise noch keinen Bon beim Kauf. „Wir haben eine neue Kasse mit Druck bestellt, sie ist aber noch nicht da“, sagt die Verkäuferin.
Händler klagen über Mehrkosten durch die Bonpflicht
„Wir haben bei uns die neueste Kassengeneration in Betrieb. Da wird jede Bestellung automatisch erfasst“, sagt Nezad Kalac. Der 49-Jährige ist seit 2015 Inhaber des Eiscafés „Dolce Vita“ in der Nähe des Hauptbahnhofs und hat ganzjährig geöffnet. Das Verständnis für die Bonpflicht sei grundsätzlich da, betont er. Jedoch verweist er auf steigende Kosten. „Und die tun in den Wintermonaten, wenn immer weniger Gäste als in der Hauptsaison kommen, nun mal besonders weh.
Zurück ins türkischen Restaurant „Bizimmangal“. Das heißt ins Deutsche übersetzt: „Unser Holzkohlegrill“. Seit 2013 ist Davut Celik der Inhaber. Schon in der Mittagszeit sind die meisten Tische mit Kunden besetzt. „Ich verbrauche jetzt zehn mindestens Kassenrollen in der Woche“, sagt der Restaurant-Chef. Und wie seine Mitarbeiterin Sadegöl Akis schon bestätigte, so erlebt es auch er: Fast alle Bons landen im Müll. „Das da“, sagt Celik und zeigt auf den mit Kassenzetteln gefüllten Mülleimer, „ist für mich weggeschmissenes Geld“.
Zumindest etwas zur Wehr gegen die neue Regelung setzt sich der Super-Biomarkt am Rande der Horster Straße in Buer. „Wir wollen keine unnötigen Müllberge produzieren“, heißt es da in weißer Schrift auf feuerroten Plakaten, die im Kassenbereich aufgehängt sind. „Wir sprechen zur Müllvermeidung jeden Kunden an, ob er seinen Bon haben will. Falls nein, drucken wir ihn auch nicht aus“, berichten Anne Duwe und Bianca Romberg, die Leiterin des Marktes und ihre Stellvertreterin. Nur rund die Hälfte der Kunden würde hier einen Bon haben wollen. „So vermeiden wir 50 Prozent des potenziellen Kassenzettel-Mülls“, sagt Romberg.