Gelsenkirchen. Betonplatten mit Noppen oder Linien leiten Sehbehinderte auch durch die Gelsenkirchener City. Sind Fahrzeuge darauf abgestellt, droht Gefahr.

Als Wolfgang Liffers neulich zu Fuß in der City unterwegs war, bewahrte ihn nur sein Blindenstock vor einem möglichen Sturz. Der unbekannte Nutzer eines E-Scooters hatte sein Gefährt mitten auf dem Blindenleitsystem am Heinrich-König-Platz in der Fußgängerzone abgestellt. Dabei handelt es sich um Linien- und Noppenplatten aus Beton, die allen sehbehinderten Menschen als Orientierungshilfe dienen. „Alle darauf abgestellten Fahrzeuge wie Autos, Fahrräder oder neuerdings auch E-Scooter werden für uns schnell zum gefährlichen Hindernis. Leider kommt das inzwischen immer öfter vor“, klagt der Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins (BSV) Gelsenkirchen.

Die meisten Menschen wüssten überhaupt nicht, welche Bedeutung diese im Asphalt eingelassenen Betonplatten mit den Noppen- und Linienmustern haben, so Liffers. „Wir unterstellen den Falschparkern auch meistens gar keinen bösen Willen. Es ist viel mehr fast immer Unachtsamkeit oder Unwissenheit“, berichtet der 58-Jährige, der seit frühester Kindheit in Folge einer Erkrankung erblindet ist. Seit Anfang 2017 fungiert er als Vorsitzender des hiesigen BSV, dem derzeit rund 140 Mitglieder angehören.

Blinden- und Sehbehindertenverein informierte auf dem Weihnachtsmarkt

So soll es nicht sein: Die Betonplatten mit Noppen und Linien dienen Blinden und Sehbehinderten zur Orientierung. Darauf sollten keine Fahrzeuge oder andere Gegenstände wie Mülltonnen oder Bauzäune abgestellt werden.
So soll es nicht sein: Die Betonplatten mit Noppen und Linien dienen Blinden und Sehbehinderten zur Orientierung. Darauf sollten keine Fahrzeuge oder andere Gegenstände wie Mülltonnen oder Bauzäune abgestellt werden. © BSV Westfalen

Um eine breitere Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren, nutzten Wolfgang Liffers und seine Frau Iris am Mittwoch für einige Stunden eine der Kunsthandwerkerhütten auf dem Weihnachtsmarkt in der Innenstadt. Gemeinsam mit dem Architekten Bertram Weiland, der beim Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen mit Sitz in Dortmund Fachplaner und Experte für barrierefreies Bauen ist, informierten sie alle interessierten Passanten über die Tücken der falsch abgestellten Fahrzeuge. „Das sind üble Stolperfallen“, weiß auch Weiland zu berichten.

Weitere Infos zum BSV

Wenn er zu Weihnachten einen Wunsch frei hätte, würde BSV-Vorsitzender Liffers eine Ansage an ÖPNV-Haltestellen wählen. Gerade an jenen Punkten, wo mehrere Bus- oder Straßenbahn-Linien halten, sei es für Blinde und Sehbehinderte nur mit Hilfe von Umstehenden möglich, zu erfragen, ob gerade das richtige Fahrzeug vorgefahren ist. „Wir sind schon seit längerem im Austausch mit der Bogestra über dieses Thema“, sagte Liffers.

Die sehbehinderte Iris Liffers gehört zu jenem vierköpfigen Beraterinnen-Team, das immer dienstags allen Betroffenen und Angehörigen Rückfragen zu allen Themen rund um die Sehbehinderung beantwortet. An jedem ersten und dritten Dienstag: 10 bis 12 Uhr an der Vattmannstraße 2-8 in der City. An jedem zweiten und vierten Dienstag: am Vereinssitz (Sondernkamp 3) in Sutum von 16 bis 18 Uhr. Infos: 0209 58 22 77.

Doch nicht nur die unachtsam geparkten Autos, Paketwagen oder E-Scooter machen den Blinden und Sehbehinderten in ihrem Alltag unterwegs oft zu schaffen, manchmal stehen auch Bauzäune oder Mülltonnen mitten auf dem Blindenleitsystem. Dieses findet man in Gelsenkirchen aber nicht nur draußen, etwa auf Gehwegen, Plätzen oder an Haltestellen, sondern auch in Gebäuden wie dem Hans-Sachs-Haus. Es hilft sehbehinderten Menschen, selbstständig und unabhängig ihr Ziel zu erreichen.

„Bei allen öffentlichen Neubauten ist der Einbau dieser Betonplatten als Leitsystem inzwischen verpflichtend“, stellt Architekt Weiland klar. Und Vertreter des Gelsenkirchener BSV sitzen in einem Gremium mit anderen Behindertenvertretern zusammen, die gemeinsam die Planung von Bauprojekten auch in Bezug auf die Berücksichtigung der Interessen aller Blinden und Sehbehinderten kontrollieren.

BSV Gelsenkirchen feierte in 2019 sein 100-jähriges Bestehen

Für den BSV war 2019 ein besonderes Jahr: Gefeiert wurde das 100-jährige Bestehen des Vereins. Als besondere Aktion gab es im März eine eintägige Hilfsmittelausstellung für Blinde und Sehbehinderte im Hans-Sachs-Haus. Es folgte im April ein internationales Blindenfußballturnier mit sechs Teams aus fünf Nationen. Gespielt wurde damals an einem Wochenende auf dem Blindenfußballfeld an der Fürstinnenstraße in Feldmark. „Und unsere Blindenfußballer vom FC Schalke 04 haben am Ende den guten dritten Platz belegt. Gewonnen hatte eine russische Auswahl“, berichtet Liffers.

Zum Abschluss der Jubiläumsfestivitäten wartete im Oktober dann noch der offizielle Festakt. Begangen wurde er im Awo-Begegnungszentrum an der Grenzstraße in Schalke. Über 100 geladene Gäste und Vereinsmitglieder lauschten dort den Auftritten eines Chores sowie zwei Sänger des Musiktheaters im Revier. „Es war für uns ein gelungenes Jubiläumsjahr“, so BSV-Vorsitzender Liffers.