Gelsenkirchen. Die Zahl der Empfänger der Grundsicherung in Gelsenkirchen ist gestiegen, sagt die Gewerkschaft NGG. Sie fordert eine „Kurskorrektur“.

Während die große Koalition noch um eine Einigung bei der Grundrente ringt, befeuern neue Zahlen die aktuelle Diskussion. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Ruhrgebiet schlägt Alarm. Ihren Angaben zufolge ist die Zahl der Empfänger von „Alters-Hartz IV“ in Gelsenkirchen innerhalb der vergangenen zehn Jahre um 42 Prozent gestiegen. Die Gewerkschaft beruft sich dabei auf Daten des Statischen Landesamtes, wonach es hier 2008 noch 3803 Bezieher von Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung gegeben hat, 2018 seien es bereits 5408 gewesen.

Adnan Kandemir, Gewerkschaftssekretär der NGG-Region Ruhrgebiet, sieht den Trend mit Sorge – und fordert eine „rentenpolitische Kurskorrektur“. Insbesondere die vom Bund angekündigte Grundrente müsse rasch angepackt werden, um ein Ausufern der Altersarmut in der Stadt zu verhindern. „Die amtlichen Zahlen zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Denn sehr viele Menschen, die wegen Mini-Renten eigentlich einen Anspruch auf die Grundsicherung haben, schrecken aus Scham vor einem Antrag zurück“, sagt Kandemir.

Städtische Zahlen zeigen Steigerung von „Alters-Hartz IV“ um 51 Prozent

Risiko für Alleinstehende und Erwerbslose am größten

Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte in Deutschland hat, gilt als armutsgefährdet. Wie aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, ist die Armutsgefährdungsquote mit 22,7 Prozent in Bremen am höchsten. Am geringsten ist das Armutsrisiko in den südlichen Bundesländern Baden-Württemberg (11,9 Prozent) und Bayern (11,7 Prozent), gefolgt von Brandenburg (15,2 Prozent) und Schleswig-Holstein (15,3 Prozent). Bei Erwerbslosen und Alleinerziehenden ist das Risiko, von Armut betroffen zu sein, am größten. Außerdem sind die neuen Bundesländer tendenziell stärker betroffen als das frühere Bundesgebiet.

Das Bundesarbeitsministerium geht bei der Grundrente von jährlichen Kosten von etwa fünf Milliarden Euro aus. Adnan Kandemir: „Allein die Bankenrettung im Jahr 2008 hat den Steuerzahler rund 60 Milliarden Euro gekostet.“

Untermauert wird der Trend von einer weiteren Erhebung, wonach mehr als jeder fünfte Rentner in 20 Jahren von Altersarmut bedroht sein könnte. Nach den jüngsten Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschungkönnte der Anteil der von Armut bedrohten Rentner bis 2039 von 16,8 auf 21,6 Prozent wachsen – selbst bei einer weiterhin positiven Konjunkturentwicklung. Besonders betroffen seien Geringqualifizierte, Alleinstehende sowie Menschen mit längerer Arbeitslosigkeit und niedrigen Einkommen – wie beispielsweise in der Gastronomie.


Die verfügbaren städtischen Zahlen weichen von denen des Statischen Landesamtes (siehe Grafik) etwas ab, nichtsdestotrotz zeichnen sie den Trend deutlich nach. Demnach waren 3204 Menschen im Jahr 2008 in Gelsenkirchen von „Alters-Hartz IV“ betroffen, 2018 belief sich ihre Zahl auf 4839 – das entspricht sogar einer Steigerung von 51 Prozent. Auffällig auch: Der hohe Anteil von Frauen, Geschiedenen und Verwitweten.

Luidger Wolterhoff, Sozialdezernent der Stadt Gelsenkirchen.
Luidger Wolterhoff, Sozialdezernent der Stadt Gelsenkirchen. © Martin Möller / FFS

Die Gewerkschaft NGG und auch Gelsenkirchens Sozialdezernent Luidger Wolterhoff sehen in einer Grundrente einen „wichtigen Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Rentensystem“ respektive „den inhaltlich richtigen Weg, damit Menschen aus ihre prekären Lebenslage kommen“. Unterschied: Während die NGG für einen Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung plädiert, sieht Wolterhoff den Diskurs darüber eher als „nebensächlich“ an. „Mir geht es in erster Linie darum“, sagt Gelsenkirchens Sozialdezernent, „dass die Menschen über ein festes Regelwerk Hilfe bekommen und nicht über den Antragsweg – je unkomplizierter, desto besser“.hier gibt es mehr artikel und bilder aus gelsenkirchen

Die Haltung gründet sich aus der Erfahrung der Stadt, dass bei Betroffenen die Hemmschwelle vor ausufernder Bürokratie besonders groß ist, Scham spielt dabei auch eine Rolle. „Deshalb hält die Stadt niederschwellige Hilfsangebote über Seniorenvertreter und Nachbarschaftsstifter und weitere Beratungsangebote vor“, so Wolterhoff.