Gelsenkirchen. Tirzah Haase und Armine Ghuloyan nehmen die Besucher in Gelsenkirchen mit auf eine kontrastreiche Zeitreisen. Gassenhauer fehlten nicht.

Als das Grauen des Zweiten Weltkriegs längst durch jede Ritze des Landes kroch und die Welt spürbar ins Taumeln geriet, da produzierte die deutsche Schlagerbranche mit großem Erfolg leichtfüßig-flotte Evergreens. Als in den Dreißigern der Zweite Weltkrieg bereits drohte, als Depression und hohe Arbeitslosigkeit die Menschen niederdrückte, da boomte die Unterhaltungsindustrie. „Wir machen Musik“.

So titelten Sängerin Tirzah Haase und Pianistin Armine Ghuloyan ihr faszinierendes Kleinkunst-Programm, das die rund 60 Zuhörer im Hotel Maritim am Montagabend mitnahm auf eine facettenreiche musikalische Zeitreise durch die Hits der dreißiger Jahre bis hin zum Mauerfall 1989. Von der unterhaltsamen Musik zum Tanz auf dem Vulkan bis hin zum friedensbewegten Song „Looking for Freedom“ reichte die kurzweilige Runde durch die Welt des Schlagers. Dazu eingeladen hatte „Melange“, die ambitionierte literarische Gesellschaft zur Förderung der Kaffeehauskultur. Deren Geschäftsführer Thomas Eicher verriet zu Beginn, dass die Stimme von Tirzah Hasse in Dortmunds Bussen und Bahnen jede Haltestelle ansagt.

Kontrast zwischen Weltgeschichte und musikalischer Stimmung

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In Gelsenkirchen nun waren nicht nur einfach die Gassenhauer vergangener Zeiten, die das Duo mal augenzwinkernd, mal karikierend zelebrierte. Tirzah Haase knüpfte sinnstiftend den roten Faden zwischen den Songs, stellte den Bezug zur Zeitgeschichte her, legte die Widersprüche zwischen allgemeiner Weltenlage und inszenierter musikalischer Stimmung bloß. Ein bis heute nicht selten erschreckender Kontrast.

Tirzah Haase spielte mit Requisiten.
Tirzah Haase spielte mit Requisiten. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

„Als man die jungen Soldaten fürs Kanonenfutter bei der Stange halten wollte“, erzählte die Dortmunder Schauspielerin und Sängerin Tirzah Haase, „da sang Lale Andersen ihr berühmtes ,Lili Marleen‘.“ Und als das Land am Kriegsende längst in Schutt und Asche lag, da begleitete Zarah Leander die Stunde Null mit einem harmlos aufmunternden „Davon geht die Welt nicht unter“.

Kurz danach kam auch in der Musik die Sehnsucht nach fernen Ländern, nach Urlaubsglück auf. Die Menschen entdeckten die Sonnenseite des Lebens zumindest in Liedern wie dem niedlichen „April in Portugal“ oder Caterina Valentes munteres „Komm ein bisschen mit nach Italien“.

Marlene Dietrich mit Requisiten inszeniert

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Eine, die nicht vergessen konnte und wollte, war Marlene Dietrich. Sie, die bis zu ihrem Tod in Paris lebte, erinnerte sich wehmütig an die einstige Heimat in einem Schlager wie „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“.

Tirzah Haase spielt mit Requisiten wie Perücke und Kostümen und singt mit rauchigem, jazzigem Timbre, zumeist mit einem Schuss Ironie und Sarkasmus, auch wenn sie sagt: „Ich finde diese alten Schlager einfach toll. Die waren süffisant, brisant, politisch.“ Relevant und unvergessen eben. Die Inszenierung lebt auch von den kalkulierten Brüchen zwischen Zeitgeschichte und Schlagern.

Nächste Veranstaltung

Die nächste Melange-Veranstaltung findet am Montag, 28. Oktober, um 19 Uhr im Hotel Maritim, Am Stadtgarten 1, statt. Dann ist Simone Röbern zu Gast mit der Komödie „Die Bürgermeisterin. Wahnsinn, Macht, Intrigen“.

Karten im Vorverkauf gibt es für 14 Euro in der Buchhandlung Junius, Sparkassenstraße 4. Weiterer Infos unter www.melange-im-netz.de.

Die armenische und in Dortmund lebende Konzertpianistin Armine Ghuloyan begleitet am Klavier aufmerksam und mit feinem Gespür für Improvisationen, begeisterte mit einem Solo aus „Der dritte Mann“. So mancher im Publikum erwies sich als textsicher und sang Hits wie die Antikriegshymne „Weiß du, wo die Blumen sind“ oder die „99 Luftballons“, die Nena im Kalten Krieg der 80er aufstiegen ließ, mit. Ein wohlklingend unterhaltsamer und lehrreicher Schlagerabend, der begeisterte.