Gelsenkirchen. Gewalt durch Polizisten – gibt es dazu Zahlen für Gelsenkirchen. So antworten Staatsanwaltschaft, Landeskriminalamt und Justizministerium.
Für Aufsehen sorgte jüngst ein Bericht, dass in Deutschland mutmaßlich rechtswidrige Polizeigewalt deutlich häufiger vorkommt als bislang bekannt. Demnach gibt es bundesweit jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte - und damit deutlich mehr als angezeigt. Bislang war bekannt, dass es in Deutschland pro Jahr mindestens 2000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte gibt, die von den Staatsanwaltschaften bearbeitet werden. Den Forschungsergebnissen der Universität Bochum zufolge werden die Vorfälle nur selten strafrechtlich geahndet: Weniger als zwei Prozent der Ermittlungsfälle mündeten in ein Gerichtsverfahren.
Die Berichte des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ und „Der Spiegel“ hat diese Redaktion zum Anlass genommen, bei den Behörden nachzufragen, wie viele Fälle von Polizeigewalt in Gelsenkirchen erfasst worden sind. Die für Gelsenkirchen zuständige Staatsanwaltschaft Essen teilte mit, dass darüber „hier keine Statistik geführt wird“, sagte Oberstaatsanwältin Anette Milk. Auch mit Hilfe der behördlichen Verfahrensdatenbank sei eine solche Statistik im Nachhinein nicht zu erstellen. „Darüber hinaus sind Daten, die älter als fünf Jahre sind, wegen der gesetzlichen Datenschutzvorschriften ohnehin nur eingeschränkt verfügbar.“
Anonyme Befragung
Bei der Studie handelt es sich um die bislang größte Untersuchung von Polizeigewalt in Deutschland. An der Online-Befragung nahmen mehr als 1000 Betroffene teil. Für die Studie haben die Wissenschaftler qualitative Interviews mit Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Richtern und Polizeibeamten geführt.
Federführend bei der Studie ist der Kriminologe Professor Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum. Einer seiner Schwerpunkte ist die Forschung zu illegaler Polizeigewalt. Im November 2018 startete eine anonyme Online-Befragung von Betroffenen und Zeugen. Gegenüber „Kontraste“ und dem „Spiegel“ schätzte der Experte auf Grundlage von rund 2000 Fällen von Polizeigewalt im Jahr die Dunkelziffer auf 10.000 Fälle.
Auch die Nachfrage beim Landeskriminalamt in Düsseldorf brachte zu der Frage kein erhellendes Ergebnis. „In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden Fälle von Polizeigewalt nicht gesondert dargestellt“, sagte LKA-Sprecherin Heidi Conzen. Nach juristischer Bewertung seien die Fälle von Polizeigewalt den Amtsdelikten, konkret der Körperverletzung im Amt, zuzuordnen. Diese könne aber auch von anderen Amtsträgern begangen werden. „Somit sind auf Grundlage der PKS keine validen Angaben zu Fällen von Polizeigewalt möglich“, so die Kriminalhauptkommissarin.
Weiß vielleicht das Justizministerium NRW mehr zu dem Thema zu sagen? „Daten, die sich allein auf Gelsenkirchener Polizisten beschränken, können wir aus unseren Statistiken nicht ermitteln“, erklärte Ministeriumssprecher Dirk Reuter. Wohl aber verfügt die Düsseldorfer Behörde über Daten zu den Ermittlungsverfahren „Gewaltausübung und Aussetzung durch Polizeibedienstete“ für die vergangenen zehn Jahre. Hierunter fallen Straftaten von Polizeibediensteten in Ausübung des Dienstes nach § 340 StGB und nach § 221 StGB.
Dem Zahlenwerk zu Folge hat das Justizministerium im vergangenen Jahr 676 solcher Ermittlungsverfahren registriert, 674 davon sind abgeschlossen worden. In elf Fällen erfolgte eine Anklage respektive ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, 653 mal sind die Verfahren eingestellt worden und in zehn Fällen endeten die Verfahren mit „Bußgeldern oder Ähnlichem“. Das Justizministerium nennt das „andere Erledigungsarten“. In den Jahren zuvor zeichnet die Statistik des Ministeriums ein nahezu identisches Bild: (2017: 737 registrierte Verfahren, 5 Anklagen, 694 Einstellungen, 16 andere Erledigungen). Im Vergleich dazu die zahlen aus 2009: 443 Verfahren, 3 Anklagen, 347 Einstellungen, 6 andere Erledigungsarten.
Eine Begründung, warum Polizeigewalt statistisch nicht näher erfasst wird, lieferten die Behörden nicht mit.