Gelsenkirchen. Nach dem Messerangriff im Gelsenkirchener Sport-Paradies spricht erstmals das Opfer. Kenan M. wirft Security und Bad-Personal Untätigkeit vor

„Ich war 129 Sekunden tot“, sagt Kenan. M. Der 23-jährige Gelsenkirchener ist am 26. Juni von einem 21-jährigen Mann im Gelsenkirchener Sport-Paradies mit einem Messer attackiert und schwer verletzt worden. Jetzt redet der angehende Anlagenmechaniker erstmals über den blutigen Angriff und die Hintergründe. Das angebliche Motiv: Verrat.

Fahrig wirkt Kenan B., die Sätze presst er mitunter heraus, schaut dabei öfter nach links und rechts. Die Erinnerungen an die Bluttat sind noch ganz frisch. Ebenso die Narben, die er vorzeigt – elf Stück an der Zahl, im Gesicht, an Arm und Hand und an Brust und Bauch. Letztere ist gut 20 Zentimeter lang.

Nach räuberischem Diebstahl Mittäter verraten

„An Schlaf ist im Moment nicht zu denken“, sagt Kenan. „Der wollte mich töten und hätte es auch fast geschafft. Ich habe in Lebensgefahr geschwebt.“ Dem Tode war der Gelsenkirchener nah, weil der Angreifer ihm zufolge „mit einer Machete“ wie wild auf ihn eingestochen und geschlagen habe. In der Presseerklärung von Polizei und Staatsanwaltschaft ist lediglich von einem Messer die Rede. Und von einem Streit zwischen „zwei Konfliktparteien mit türkischen Migrationshintergrund“.

„Auslöser der Attacke ist ein Vorfall aus dem Dezember vergangenen Jahres gewesen“ erklärt dazu Kenan. Da habe sein Bruder zusammen mit zwei anderen Männern „jemanden abgezogen“ - neudeutsch heißt das: beraubt. Die Polizei habe seinen Bruder geschnappt und durch ihn die Namen der anderen Beteiligten erfahren. Seitdem gelte sein Bruder als Verräter. Mehrfach sei der Bruder in der Zeit danach von dem Angreifer blutig geschlagen worden, unter anderem am Hauptbahnhof.

Fußball mit Freund im Sport-Paradies gespielt

Kenan M., Opfer eines Messer- oder Machetenangriffs im Sportparadies Gelsenkirchen, auf einer Bank vor der Kirche St. Augustinus in Gelsenkirchen.
Kenan M., Opfer eines Messer- oder Machetenangriffs im Sportparadies Gelsenkirchen, auf einer Bank vor der Kirche St. Augustinus in Gelsenkirchen. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Am 26. Juni dann, so vermutet der 23-Jährige, muss der Angreifer über Freunde und Bekannte davon Wind bekommen haben, dass „ich im Sport-Paradies war und mit ein paar Kumpels Fußball gespielt habe.“ Darauf müsse er sich auf die Suche nach ihm gemacht haben, „obwohl ich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe.“ Vielleicht eine Frage der Familienehre, der in manchen Kulturkreisen alles andere untergeordnet wird.

Machete aus der Bermuda gezogen und losgestürmt

Fünf Meter vor ihm, so Kenans Schilderung, habe der 23-Jährige aus seiner langen Badebermuda „eine Machete gezogen“ und sei auf ihn losgestürmt. Ungefähr so lang wie der Unterarm eines Erwachsenen war angeblich die Machete, das ist seiner Geste zu entnehmen. „Ich bin weggelaufen, dann aber gestolpert“, erinnert sich der junge Mann. Einen Teil der Hiebe und Stich habe er mit Händen und Armen abwehren können, aber eben nicht alle Attacken. Daher auch die Narben. Erst als ein Fremder dazwischen gegangen sei, „hat er von mir abgelassen und ist geflüchtet.“

Arbeitgeber lässt Messer-Opfer Prüfung nachholen

Kenan M. ist nach seinem siebentägigen Krankenhausaufenthalt noch krankgeschrieben. Er befindet sich seinen Angaben zufolge in psychologischer Behandlung nach der Messerattacke.

Der 23-jährige absolviert gerade eine Lehre zum Anlagenmechaniker hat vor kurzem noch die theoretische Prüfung gemacht. Der praktische Teil der Prüfung sollte am 6. Juli stattfinden, aufgrund der Gewalttat, wird dem Gelsenkirchener die Möglichkeit eingeräumt, diesen Prüfungsteil nachzuholen, sobald er wieder dazu in der Lage ist.

Vorwurf: Security-Mitarbeiter und Badpersonal haben angeblich nur zugeschaut

Was den 23-Jährigen besonders empört, ist, „dass es weder von den Security-Mitarbeitern noch vom Badepersonal und auch von den tausenden Badegästen eine Reaktion gab“. Erste Hilfe habe sein Freund Musa geleistet, die blutenden Wunden mit einem Handtuch versucht, abzubinden. „Die anderen haben nur zugeguckt.“

Die Stadtwerke betonen in einer Stellungnahme, dass sie „seit über zehn Jahren entsprechendes Sicherheitspersonal zur Unterstützung sowie zum Schutz unserer Gäste und Mitarbeiter als auch zur Wahrung des Hausrechts einsetzen.“ Neun Security-Mitarbeiter seien am Tattag im Einsatz gewesen, seien Patrouille über das Gelände gelaufen. „Auf den kurzen heftigen Streit sind sie aufmerksam geworden und dem flüchtenden Täter gefolgt. Ergreifen konnten die Security-Mitarbeiter den Gewalttäter leider nicht mehr. Sie setzten daraufhin umgehend einen Notruf ab.“

Der Stich in die Brust war neben dem in den Bauch nach Aussage von Kenan M. besonders gefährlich. Die Ärzte haben ihn notoperiert.
Der Stich in die Brust war neben dem in den Bauch nach Aussage von Kenan M. besonders gefährlich. Die Ärzte haben ihn notoperiert. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Staatsanwaltschaft erteilt aus taktischen Gründe keine nähere Auskunft

Der Täter hat sich nach Angaben der Essener Staatsanwaltschaft in die Türkei abgesetzt. Ob und inwieweit ein Amtshilfeersuchen zur Festnahme und Überstellung des Gesuchten von deutscher Seite von Erfolg gekrönt ist, mochte die Behörde nicht beantworten. Auch zur Tatwaffe, der Tat selbst, den Verletzungen und dem Hintergrund, wie von Kenan M. geschildert, gab es keine Auskunft. Nur so viel: „Die weiteren Ermittlungen, insbesondere zum Tatmotiv und des Aufenthalts des Beschuldigten, dauern an. Insoweit wird derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen keine weitere Auskunft erteilt.“