Gelsenkirchen. Ich fahre täglich fast zwei Stunden Bahn. Wenn’s gut läuft. Gerade jetzt tut es das aber oft nicht. Warum ich trotzdem nicht aufs Auto umsteige.

Nächster Halt, Gelsenkirchen Hauptbahnhof, der Zug fährt ein. Ich steige aus, bin da. Hab’s mal wieder geschafft. Werde pünktlich im Büro sein. Tief durchatmen jetzt, Spannung rauslassen. Der Tag wird gut.

Dass ich heute genauso in meinen Dienstag starten würde, war anderthalb Stunden früher noch lange nicht klar. Ja, ich bin eine von den Wahnsinnigen, die täglich mit dem ÖPNV pendeln. Aus Überzeugung, nichts und niemand könnte mich dazu bringen, aufs Auto umzusteigen. Im Zug kann ich lesen, er ist sauber (wenn nicht gerade Schalke spielt) und ich kann auf der Heimfahrt auch schon mal ein Nickerchen machen (wenn nicht gerade Schalke spielt). Und dennoch sind da diese Dinge, die mich einfach nur nerven.

Wenn der Zug nicht kommt

Von meinem Wohnort in Westfalen ins Ruhrgebiet nach Gelsenkirchen pendele ich pro Tag zwei Stunden von Tür zu Tür. Morgens 45 Minuten Zugfahrt, abends 45 Minuten Zugfahrt. Wenn’s gut läuft. Nur gerade jetzt, kurz vor den Sommerferien, und auch in den Ferien, läuft es bei Bus und Bahn nicht immer so gut. Montag vor zwei Wochen, da hätte ich um halb zehn einen Termin mit einer Leserin in Buer gehabt. Hätte hätte Fahrradkette, das Treffen hat nie stattgefunden. Was stattdessen passierte: eine Oberleitung zwischen Hamm und Dortmund spielte verrückt, und zwar zwischen 7.45 Uhr, wo mein Haus- und Hofzug RE3 in Kamen-Methler hätte abfahren sollen, und … Tja, diese Frage kann ich gar nicht beantworten, denn ich habe mich um 10 Uhr entnervt ins Taxi gesetzt, das mich zur Straßenbahnstation Grevel gefahren hat. Was weiter auf dem einen Bahnsteig mit der einen Sitzbank in der prallen Sonne bei 32 Grad und den weiteren wütenden Wartenden geschah, werde ich wohl nie erfahren. Dafür konnte ich um zwölf Uhr ausgiebig die langen Gesichter meiner Kollegen in der Redaktion studieren, die mich gut schon eine Stunde eher MIT einer Geschichte aus Buer im Büro hätten gebrauchen können.

Wenn die Ansage nicht stimmt

Haus- und Hofzug RE 3: Schön, wenn er pünktlich in Gelsenkirchen Hauptbahnhof ist wie an diesem Morgen.
Haus- und Hofzug RE 3: Schön, wenn er pünktlich in Gelsenkirchen Hauptbahnhof ist wie an diesem Morgen. © Foto: Tina Bucek

An Verspätungen habe ich mich als langjähriger ÖPNV-Junkie gewöhnt, solange sie sich im Rahmen halten. Null Toleranz habe ich aber nach wie vor für Fake-News aus dem Lautsprecher. „Sehr geehrte Fahrgäste, bitte beachten Sie: Der Regionalexpress 3 über Dortmund wird voraussichtlich wenige Minuten später hier einfahren.“ Was ich über die Jahre in meiner Beziehung mit den Öffentlichen gelernt habe: „Wenige Minuten“ ist im ÖPNV-Universum ein mindestens so dehnbarer Begriff wie schwarzes Loch. Wenn in Bahnhofsnähe in Gelsenkirchen eine Fliegerbombe entschärft wird etwa. Glücklich der, der die Ansage dann wenigstens mehrmals zu hören kriegt. Aber darauf sollte man sich nicht verlassen, sondern sich lieber gleich auf längere Wartezeiten einstellen.

Handygespräche im Schreimodus

Manche Plagen haben mit dem Transportmittel selbst nichts zutun. Sondern mit denen, die es benutzen. „Manni? Nein, ich hab’ noch keine Brötchen geholt. Manni? Hörst Du mich? Manni? Sorry, die Verbindung ist sch…, ich bin noch im Zug.“ Jeder, der regelmäßig mit Öffis pendelt, kennt diese Gespräche, vorgetragen in einem Tonfall zwischen Brüllen und Weinen und mit null Bewusstsein, dass man sich nicht allein im Abteil befindet. Mein Rezept: Augen zu, dicke Kopfhörer auf und Bachs Goldberg-Variationen an.

Und trotzdem...

Ich könnte jetzt noch lange weiter meckern über die Öffentlichen. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Eigentlich bedauere ich jeden, der morgens mit seinem Auto im Ruhrgebiet auf dem Weg zur Arbeit zuerst mal einen einen Stau schlittert. Eigentlich finde ich Zugfahren klasse, ja, ich freue mich sogar täglich darauf, in die Bahn zu steigen und eine Dreiviertelstunde lang Dinge zutun, zu denen ich sonst keine Ruhe habe. Nur kommen soll sie, gerne mit Ansage.