Gelsenkirchen. . Grüne und AfD stark, die CDU mit Verlusten – und die SPD im freien Fall. Wie Parteichef Töns und OB Baranowski das Wahlergebnis bewerten.
Der größte Verlierer der Europawahl bundesweit und besonders in Gelsenkirchen ist die SPD. Über 20 Prozentpunkte bergab ging es für die Sozialdemokraten im Vergleich zur vorherigen Europawahl 2014. Das dürfte auch dem Oberbürgermeister und SPD-Politiker Frank Baranowski nicht gefallen – wenngleich er im Gesamtergebnis zunächst einen positiven Effekt bemerkt: „Positiv ist, dass die Wahlbeteiligung im Vergleich zur letzten Europawahl ein gutes Stück gestiegen ist. Die Menschen haben erkannt, dass Europa wichtig für sie ist und etwa zwei Drittel der Menschen haben pro-europäisch gewählt. Die Zustimmung für ein geeintes Europa ist hoch.“ Das unterscheide das deutsche Wahlverhalten von dem in anderen Ländern.
Baranowski blickt mit Sorge aufs Gelsenkirchener Ergebnis
Mit Sorge blickt der OB auf das Ergebnis vor Ort: „Auf lokaler Gelsenkirchener Ebene haben die Wählerinnen und Wähler mit ihrem Wahlverhalten aufgezeigt, dass sie keine Lösungen für die hier lokal spürbaren Probleme in Europa erkennen. Dazu gehören vor allem die Themen Armutszuwanderung und Klimawandel.“
Baranowski verweist wiederholt darauf, dass es „in Düsseldorf, Berlin und Brüssel nur ein geringes Bewusstsein dafür gibt, dass Zuwanderung von den Kommunen nicht allein zu schultern ist und über neue europäische Regelungen nachgedacht werden muss“. Es helfe nicht, wenn jede Ebene ihre Zuständigkeit in Frage stellt. „Hier erwarte ich endlich klare Strategien, die uns vor Ort helfen. Für derartige Gespräche stehen wir Tag und Nacht bereit.“
Beim Thema Klimaschutz sieht Baranowski die Ungeduld der Menschen und kann diese gut verstehen. Hier sei jedoch auf kommunaler Ebene etwas passiert: „Wir haben vor Ort mit unserem integrierten Klimaschutzkonzept Gelsenkirchen 2020, dem Mobilitätskonzept oder dem Green City Plan viele nachhaltige Maßnahmen auf den Weg gebracht.“ Der OB räumt ein: „Wir haben aber auch verstanden, dass wir hierüber nicht nur deutlicher informieren sondern auch noch stärker die Bürgerinnen und Bürger einbeziehen müssen.“
Markus Töns will „nichts schön reden“
Vor allem beim SPD-Ergebnis gebe es „nichts schön zu reden“, räumt auch der hiesige Unterbezirksvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Markus Töns gegenüber der WAZ ein. „Ich glaube schon, dass wir die richtigen Themen im Blick haben“, so Töns weiter, „aber es gelingt uns zurzeit nicht, das auch zu vermitteln.“ Er nennt den nach jahrelanger Diskussion mit der Union endlich eingeführten Sozialen Arbeitsmarkt, der zwar in Gelsenkirchen ein großes Thema sei, bundespolitisch aber kaum wahrgenommen werde. „Wir verkaufen unsere Erfolge zu wenig, weil wir zu wenig die Sprache der jungen Menschen sprechen. Wir sind in Vielem viel zu altbacken“, so seine deutlichen Worte.
Töns bedauert zudem den Zwang, Kompromisse mit dem Koalitionspartner eingehen zu müssen. „Und das ist manchmal sehr schwerfällig.“ Dabei hätte er sich gerade mit Blick auf das aktuell heiß diskutierte Thema Klimawandel „ein ambitionierteres Herangehen“ gewünscht. Dies sei aber mit der CDU nicht machbar gewesen.
Töns ist für einen personellen Neuanfang an der Parteispitze
Ob der Einstieg in eine weitere Große Koalition im Nachhinein doch ein Fehler war? „Ich war Befürworter der GroKo, weil es richtig war. Ich weiß aber nicht, ob es immer noch richtig ist.“ Ob ein vorzeitiges Ende der Großen Koalition automatisch Neuwahlen bedeutet, weiß Töns nicht. „Es könnte ja auch sein, dass sich aus dem Parlament heraus andere Mehrheiten finden.“
Vor der Wahl ist viel über einen möglichen Putsch gegen Parteichefin Andrea Nahles spekuliert worden. Mittlerweile hat sie einen Rücktritt ausgeschlossen. Markus Töns hält diesen aber für notwendig. „Andrea Nahles hat keine guten Beliebtheitswerte an der Basis. Ein personeller Neuanfang ist nötig. Wir brauchen vor allem jüngere Menschen an der Spitze.“ Konkrete Namen will Töns nicht nennen. Es dürfe aber keine Denkverbote geben. „Vielleicht kann man ja sogar mal über eine Doppelspitze sprechen.“
Da ist Baranowski anderer Meinung: „Von der Diskussion halte ich wenig. Denn damit ist es nicht getan. Die für Gelsenkirchen entscheidenden Themen Zuwanderung und Klimaschutz werden in Berlin von SPD-Ministern betreut. Die müssen besser liefern!“
Kommunalwahl: Haertel will absolute SPD-Mehrheit verteidigen
Auch ein anderer SPD-Vorderer dieser Stadt, Fraktionschef Klaus Haertel, sieht „deutlichen Nachholbedarf bei der Vermittlung“ politischer Inhalte. Das sei der Hauptgrund für das schlechte Abschneiden der SPD.
Er will sich in eine Debatte um die Bundesvorsitzende „nicht zu stark reinhängen“. Er setzt eher auf Inhalte. „Wir müssen das Vertrauen wiederholen. Und das ist viel einfacher gesagt als getan.“
Was die von Wahl zu Wahl schlechteren SPD-Ergebnisse für die Kommunalwahl 2020 bedeuten? Haertel bezeichnet eine weitere absolute Mehrheit weiterhin als „realistisches Ziel“. Man werde darum kämpfen; ein Jahr sei noch lang. „Das Ziel gebe ich nicht auf!“