Gelsenkirchen-Ückendorf. . Der Musikverein Gelsenkirchen und die Kantorei der Nicolai-Kirche gestalteten eine besondere Matthäus-Passion. Toller Einsatz von Tobias Glagau.
Stimmgewalt, Leid und Leidenschaft trafen am Sonntag in der Ückendorfer Nicolai-Kirche aufeinander: Der Städtische Musikverein Gelsenkirchen wagte gemeinsam mit der Kantorei an der Nicolai-Kirche, der Singschule an der Petrikirche Mülheim sowie dem Folkwang-Kammerorchester Essen mit Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ ein Klangexperiment der besonderen Art.
Das vor 290 Jahren uraufgeführte Werk galt lange als unaufführbar – die Doppelchörigkeit und die damit verbundene Stimmteilung stellen besonders hohe Ansprüche an die Sicherheit jedes einzelnen Sängers. Entsprechend aufwändig sind die Proben. In aufreibenden Chorpassagen liefern sich beide Chöre bisweilen einen virtuosen Wettstreit mit Koloraturen und synkopisch versetzten Einsätzen. Soviel vorab: In der Gelsenkirchener Aufführung unter Leitung von Andreas Fröhling gelang dies punktgenau und mit beeindruckender Klarheit.
Die Brutalität der Passionsgeschichte nacherzählt
Über 100 Sänger ließen hier Bachs gewaltiges religiöses Musik-Drama, das die Brutalität der Passionsgeschichte haarklein nacherzählt und mit musikalischen Effekten verstärkt, zu einem echten Erlebnis werden. Im Altarraum der Kirche wurde es dabei so eng, dass die jungen Mitwirkenden der Singschule erst auf die Empore und dann in die Seitenschiffe der Kirche ausweichen mussten – was einen dramaturgisch durchaus gewollten Nebeneffekt hatte: So klangen die Mädchenstimmen engelsgleich von der Empore herab und sorgten gleich zu Beginn im Einklang mit den Chören für den ersten Gänsehautmoment, dem an diesem Abend zahlreiche weitere folgen sollten.
Helena Günther stach heraus
Die Sänger und die Solisten des Abends sorgten mit Natürlichkeit in dynamischer Gestaltung, Phrasierung und Ausdruck für ein harmonisches Ganzes. Cornelia Orendi (Alt), Hagen-Goar Bornmann und Gregor Finke (Bass) setzten mit Arien und Rezitativen zudem kunstvolle Akzente. Die Sopranistin Helena Günther stach mit ihrer klaren Stimme voller Strahlkraft und wunderschöner Klangfarben heraus.
Hervorgehoben werden muss hier auch die beachtenswerte Leistung des Tenors Tobias Glagau, (Ensemblemitglied des MiR), der hier quasi über Nacht für den erkrankten Tenor Peter Schmitz einsprang und aus dem Stehgreif die Titelpartie des Matthäus sang. Eine echte Meisterleistung von Glagau, der die Partie zwar schon mehrfach gesungen hat – aber hier in Gelsenkirchen vorab an keiner Probe teilgenommen hatte. Glagau schaffte mit sehr klar strukturierten Betonungen ein Bewusstsein für die Wortgewalt des Evangeliums. In den Tenorarien überzeugte er mit seiner sehr wandelbaren Stimme.
Gelungenes Klangexperiment
So entstand – im Zusammenspiel mit dem jungen Folkwang-Kammerorchester – aus vielen Versatzstücken ein bemerkenswertes Konzertwerk in der Nicolai-Kirche. Und auch wenn sich der Spannungsbogen während der drei Stunden und 20 Minuten andauernden Aufführung nicht bis ganz zum Schluss halten ließ, war dieses Klangexperiment durchaus gelungen.
>> Nächstes Konzert am 5. April
Zuletzt wurde Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ 2011 in Gelsenkirchen in der Altstadtkirche aufgeführt – unter Leitung von Jens-Martin Ludwig, der nun in die Rolle eines Hohepriesters schlüpfte.
Das nächste Konzert der Reihe mit dem Titel „Leiden und Leidenschaft“ wird am 5. April um 19.30 Uhr in der Altstadtkirche am Heinrich-König-Platz erklingen. Dort steht die „Markus-Passion“, die Reinhard Keiser zugeschrieben wird, auf dem Programmzettel. Der Eintritt ist ist im Übrigen frei.