Gelsenkirchen. . Bundespolitische Prominenz beim Neujahrsempfang der CDU Gelsenkirchen: Ministerin Julia Klöckner hatte Zahlen dabei, die nachdenklich stimmen.
Im vergangenen Jahr gab sich Altbundespräsident Christian Wulff die Ehre beim Neujahrsempfang der Gelsenkirchener CDU – am Dienstagabend war es, so Fraktionschef Wolfgang Heinberg, mal wieder Zeit für eine Frau: Mit Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner trat ebenfalls eine prominente Bundespolitikerin als Gastrednerin im Augustinushaus auf.
Geradewegs aus Berlin sei sie zusammen mit Oliver Wittke nach Gelsenkirchen gekommen – und dahin sollte es am späten Dienstagabend auch gleich wieder zurückgehen. „Irgendwie müssen wir Deutschland ja am Laufen halten“, so Klöckner, die damit gleich zu Beginn launig demonstriert, dass die etwa 300 Gäste im Augustinushaus keinen ernährungswissenschaftlichen Fachvortrag, sondern eine mitreißende, teils humorvolle, aber auch mahnende Rede zu erwarten hatten. Schnell macht sie sich beliebt, als sie den anwesenden Kommunalpolitikern fürs Engagement dankt: „Sie sind systemrelevant!“
Klöckner wirbt für eine andere Verwertungskultur
Vielleicht hätte sich ja jemand gewundert, dass ausgerechnet die Landwirtschaftsministerin nach Gelsenkirchen kommt, räumt Klöckner ein: „Wer von Ihnen ist Landwirt?“, fragt sie in die Runde. Handzeichen? Fehlanzeige. „Wer hat heute schon gegessen und getrunken?“ Na also. Was die Ernährungsministerin zu sagen hat, geht alle etwas an. Und auch wenn keine Bauern anwesend sind: Klöckner bricht eine Lanze für sie: Landwirte fühlten sich oft als „Buh-Männer der Nation“, sagt sie. Aber: „So gesund, so gut und so günstig wie heute waren Lebensmittel noch nie.“
Heinbergs Begrüßungsansprache
Einleitende Worte in den Abend kamen vom Fraktionschef Wolfgang Heinberg. Er nutze die Gelegenheit, um ein bisschen zurückzublicken. Beispiel: Bäderkonzept. „Das trägt unsere Handschrift und Signatur.“
Zu den drohenden Fahrverboten auf der Kurt-Schumacher-Straße sagte er deutlich: „Die Automobilindustrie muss das, was sie verbockt hat, wieder gerade biegen. Wer schummelt, muss nachbessern.“
Er blickte auch in Zukunft, kündigte an, weiter für großflächige Lebensmittelläden zu kämpfen: „Einkaufserlebnisse, wie sie in unseren Nachbarstädten möglich sind, müssen auch hier möglich werden – dafür werden wir weiter streiten und ich bin sicher, dass wir in der Frage schon bald auch Erfolge erzielen werden.“
Die Ministerin kritisiert die allgemeine Haltung, die sie spitz formuliert wiedergibt: „Wir wollen heute Autos, die autonom fahren – aber die Bäuerin soll mit der Milchkanne in der Hand pfeifend über den Hof laufen.“ Ihr Credo: Industrialisierung in der Landwirtschaft ist nichts Schlechtes. „Die Unterstellung, Industrie vergifte uns alle“, findet sie nicht gut. „Wann wurde die eigentlich en vogue?“
Die 46-Jährige hat auch Zahlen parat: „Vor 50 Jahren gaben die Menschen 50 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Lebensmittel aus. Heute sind es neun Prozent.“ Auf der anderen Seite seien die Deutschen Reiseweltmeister und es gebe mehr Handyverträge als Menschen in Deutschland. Sie fragt: „Sind wir bereit, für die Wertschätzung regionaler Anbieter und für gute Lebensmittel mehr Geld auszugeben?“ Klöckner wirbt auch für eine andere Verwertungskultur, da immer noch zu viele Lebensmittel auf dem Müll landeten. „Manche verwechseln das Mindesthaltbarkeitsdatum mit einem Verfallsdatum.“
Appell in Sachen Europawahl
Eine andere Zahl: „821 Millionen Menschen auf dieser Welt hungern.“ Dagegen hätten wir in Deutschland Luxusprobleme. Überhaupt: Klöckner erwähnt mehrfach am Rande, dass dieses Land schlechter geredet würde, als es in Wahrheit sei: „Man kann auch über unser Gesundheitssystem meckern. Aber wer würde denn Deutschland wohin verlassen, um sich operieren zu lassen?“ Gerade weil hier Vieles gut sei, würden zurzeit so viele Menschen nach Deutschland wollen. „Das heißt aber nicht, dass man Probleme nicht benennen darf.“
Klöckner appelliert an die Menschen, am 26. Mai zur Europawahl zu gehen. Am nächsten Morgen aufwachen und mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein – das ginge nicht. „Wenn die, die damals am Tag nach der Brexit-Entscheidung in London demonstriert haben, am Tag zuvor ihre Hintern hoch bekommen hätten, dann hätten sie sich die Demo am Tag danach schenken können.“