Frauen auf Steinhalden und Berglehrlinge, die auf “dicke Hose“ machten – das Buch “Hau rein!“ ist voll von Erinnerungen an den Alltag im Pott.
Geboren auf Stah: In „Hau rein! Erinnerungen an Arbeit, Alltag und Leben im Ruhrgebiet“ erzählen Menschen aus dem Pott Anekdoten über ihre Heimat.
Wir haben die schönsten Geschichten gesammelt. Erinnerungen von den 1890ern bis zu den 1970ern:
Bergmann erinnert sich an seinen ersten Tag: Wie kommen wir hier lebend heraus?
Mikail Zopi und seine Erinnerungen an die 1970er unter Tage: „Der Ernst des Lebens begann für uns alle an dem Tag, an dem wir zum ersten Mal in die Grube einfuhren. Wir zogen uns um, bekamen eine kleine Unterweisung im Umgang mit Grubenlampe und CO-Filter und marschierten danach zum Hauptschacht.
Der Korb wartete bereits auf uns. Wir stiegen etwas ängstlich und neugierig ein. Der Seilfahrtmeister gab drei Mal akustisches Signal und der Korb bewegte sich erst langsam nach unten. Er bewegte sich immer schneller und je tiefer wir fuhren, umso dusterer und lauter wurde es. Auch mein Puls schlug immer schneller. Schon während dieser kurzen Seilfahrt fragte ich mich, wie wir jemals wieder lebend rauskommen würden. Nach zwei bis drei Minuten verlangsamte sich der Korb und hielt schließlich an.
Man konnte jedem von uns die Angst im Gesicht ablesen. Wir marschierten durch das Grubenfeld, kamen an langen Bänken und riesigen Maschinen vorbei. Je weiter wir uns vom Hauptschacht entfernten, umso enger, dreckiger, heißer und lauter wurde es. In diesem Moment wäre ich am liebsten zurück in die Heimat geflogen.“
Pferde streikten bei mehr als fünf Wagen
Hans Blume blickt zurück auf die 1950er: „Unsere drei Braunen hießen Vera, Odin und Morgenwind. Jedes Pferd hatte seine Eigenheiten. Die Stute Vera war die agilste, zog aber trotzdem nicht mehr als fünf volle Wagen. Das konnte sie abzählen aus dem Anrucken jedes Wagens beim Anfahren aus dem lockeren Knebel heraus. Bei mehr als fünf Rucken blieb sie stehen. Dabei hätte sie spielend acht ziehen können.
Auch der rundliche Wallach Odin streikte bei mehr als fünf Wagen. Aber durch das Werfen kleiner Steinchen auf sein Hinterteil ließ er sich schon mal zu einem sechsten überreden. Doch dann peitschte er mit seinem Schweif die Luft und hatte einen unerschöpflichen Vorrat an Fürzen, mit denen er gegen eine solche Zumutung protestierte. (...)“
Mutter stirbt und Vater ging zur Nachtschicht: "Plötzlich waren wir allein"
Heinrich Jacob erzählt von den 1890ern: „Die Mutter war eine kleine Person, aber emsig wie eine Biene, wie die Hessenmädchen alle waren. So ging sie, obwohl verheiratet, tagsüber noch auf die Steinhalde, um Kohlen zu suchen und zu verkaufen. Plötzlich wird die Mutter krank, und zum Entsetzen aller, sie stirbt. Sie liegt auf dem alten Friedhof am Bahnhof Marten.
Lang ist es schon her, jetzt kam für uns Kinder die große Not. Geschwister oder Großeltern waren keine da. Der Vater ging zur Nachtschicht. Wir Kinder waren allein – sieben, fünf und drei Jahre alt.“
Als Berglehrling beim Schützenfest auf "dicke Hose" gemacht
Schors Zimoch und seine Anekdote aus den 1950ern: „Ich war Berglehrling auf Zeche Lothringen. In Bochum-Gerthe war Schützenfest und meine Kumpel Horst, Ömmes, Walter, Schlangel und ich – alle frische Berglehrlinge und gerade mal sieben Monate auf dem Pütt – hatten zu lange mitgefeiert. Denn wir Jungen waren keine Schützen, wir durften noch nicht einmal alleine ins Schützenzelt.
Doch ein bisschen gucken und auf dicke Hose machen war ja erlaubt. Ich verschlief am Montagmorgen, denn Mama hörte wohl unseren Wecker auch nicht.“
Schnelle Heiraten hielten oft ein Leben lang
Bärbel Howarde und ihre Gedanken zu den 1950ern: „Kündigte sich Nachwuchs an , wurde möglichst schnell geheiratet. Ledige Mütter mit unehelichen Kindern waren ein großer gesellschaftlicher Makel und brachten, so meinte man, Schande über die ganze Familie.
Erstaunlicherweise haben diese unter Druck entstandenen Ehen meist lebenslang gehalten.“
Ständig musste Rauß auf den Scheiben entfernt werden
Wie sich Helga Hübner an die 1950er erinnert; „Meine Mutter kochte montags in der Waschküche in einem großen Steinbottich die Wäsche und machte Gurken und Sauerkraut im Fass ein.
Und der ständige Ruß auf Möbeln, Scheiben und Fensterbrettern musste entfernt werden.“
Das Buch „Hau rein“ Erinnerungen an Arbeit, Alltag und Leben im Ruhrgebiet“ ist erschienen im Klartext-Verlag. Es enthält Anekdoten und Geschichten, die Menschen im Revier im Rahmen des 7. Geschichtswettbewerbs des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e.V. eingesandt haben. Das Buch kostet 14,95 Euro und ist in den WAZ-Leserläden erhältlich.
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